Industriekrise Österreich : Wird die Re-industriealisierung zur De-industriealisierung?

Automatisiertes Schweißen in der Industrie: ein energieintensiver Industriezweig.

Konkret planen österreichische Industriebetriebe in den nächsten Jahren verstärkt, Produktionsbereiche wie die Bauteilfertigung, Vormontage und Endmontage ins Ausland zu verlagern.

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Seit dem vergangenen Jahr kämpft die österreichische Industrie mit sinkenden Aufträgen und steigenden Kosten, wodurch sie in eine Rezession gestürzt wurde.

Der oberösterreichische Solar-Spezialist Fronius sieht sich beispielsweise nach hohen Investitionen einer massiven Billigkonkurrenz aus China ausgesetzt.

Weitere namhafte Unternehmen wie der Motorradhersteller KTM, der Maschinenbauer Engel und der Technologiekonzern AVL List haben bereits Mitarbeiter entlassen. Immer mehr Betriebe denken zudem über eine Abwanderung nach.

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Europa wird vor allem für energieintensive Industriezweige zunehmend unattraktiv. BASF in Ludwigshafen in Deutschland kämpft mit rückläufiger Produktion. In zwei Jahren wurde 23 Prozent der Produktionsmenge reduziert. Jetzt werden Anlagen stillgelegt. Die Entwicklung in Ludwigshafen steht beispielhaft für viele europäische Industriestandorte.

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Schleichende De-Industrialisierung?

Was passiert also derzeit am Industriestandort Österreich? Handelt es sich nur um eine vorübergehende Krise oder bereits um eine schleichende De-Industrialisierung? Bereits mehr als 40 Prozent der österreichischen Industriebetriebe haben Teile ihrer Wertschöpfungskette ins Ausland verlagert. Weitere Auslagerungen sind geplant, wobei besonders der asiatische Raum und die USA als Zielländer immer attraktiver werden.

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig: hohe Arbeitskosten, wachsender Bürokratieaufwand, fehlende Energiesicherheit und hohe Energiekosten belasten die Betriebe. Die Situation ist auch deshalb brisant, weil Deutschland als die Konjunkturlokomotive ebenfalls stark schwächelt und dies viele Zulieferbetriebe in Österreich zu spüren bekommen.

Fronius hat sehr viel in den Bereich der Photovoltaik-Fertigung investiert und musste wegen der chinesischen Billigkonkurrenz kürzlich 350 Mitarbeiter am Standort Sattledt entlassen.
Fronius hat sehr viel in den Bereich der Photovoltaik-Fertigung investiert und musste wegen der chinesischen Billigkonkurrenz kürzlich 350 Mitarbeiter am Standort Sattledt entlassen. - © Fronius

Nicht nur China ist Österreichs Industrie-Konkurrent

Generell leiden in der EU so gut wie alle Industriebetriebe unter gestiegenen Energiekosten, hohen Arbeitskosten und einem zunehmenden Bürokratieaufwand. Gleichzeitig sehen sich die europäischen Hersteller mit einer intensiven Konkurrenz aus Asien, insbesondere China, konfrontiert, wo durch kostengünstigere Produktion erhebliche Marktanteile lukriert werden können.

Aber auch die USA haben in den letzten Jahren deutlich an Dynamik zugelegt. Sie haben dafür auch erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihre industrielle Basis wiederzubeleben. Ein zentraler Bestandteil dieser Bemühungen ist der Inflation Reduction Act (IRA) von 2022. Dieser Gesetzesakt zielt darauf ab, die Inflation zu senken, Arbeitsplätze zu schaffen und Investitionen in erneuerbare Energien sowie fortschrittliche Fertigungstechnologien zu fördern. Der IRA bietet umfangreiche Steueranreize für Unternehmen, die in den USA produzieren, und unterstützt insbesondere die Halbleiterindustrie, Elektromobilität und grüne Technologien. Der Act ist das größte Investitionspaket in saubere Energie und Klimaschutz in der Geschichte und hat bereits tatsächlich zur Schaffung tausender neuer Arbeitsplätze im industriellen Sektor geführt. 370 Mrd. US-Dollar fließen innerhalb von 10 Jahren in dieses Programm.

So erleben die USA derzeit beispielsweise einen signifikanten Anstieg der Investitionen in High-Tech-Anlagen wie Halbleiter- und Batteriezellfabriken. Getrieben wird dieser Boom auch durch den U.S. Chips and Science Act. Allein der Chips Act garantiert Bundeszuschüsse von rund 53 Mrd. US-Dollar für die Halbleiterfertigung, Forschung und Entwicklung sowie die Förderung von Beschäftigung. Laut Prognosen des Forschungsunternehmens Arizton wird der US-amerikanische Markt für Rechenzentren bis 2028 Investitionen von 110 Mrd. US-Dollar verzeichnen.

Die weitere Umsetzung des Green Deals wird sicher ein Gradmesser für den Erfolg oder Misserfolg Ursula von der Leyens weiterer Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission sein.

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Die neue chinesische Mauer der Industrie

Im Osten ist es auch nicht still geworden. Seit ihrer Öffnung vor rund 40 Jahren hat die Volksrepublik China eine beeindruckende industrielle Transformation durchlaufen. Dadurch hat sich das Land zur „Werkbank der Welt“ entwickelt, unterstützt durch massive ausländische Investitionen und zahlreiche Produktionsstätten multinationaler Unternehmen.

Mit der 2015 eingeführten Strategie „Made in China 2025“ strebt China an, von einem Produktionsstandort zu einem führenden Innovationszentrum zu werden. Diese Strategie konzentriert sich auf zehn Schlüsselindustrien, darunter Robotik, Luft- und Raumfahrt, maritime Ausrüstung, moderne Schienenverkehrsausrüstung, Elektromobilität, neue Materialien und biomedizinische Produkte. Ziel ist es, die technologische Selbstständigkeit zu erhöhen und die Abhängigkeit von ausländischen Technologien durch eigene Forschung und Entwicklung zu verringern. Dabei wird auch großer Wert auf Nachhaltigkeit und umweltfreundliche Technologien gelegt.

In den letzten Jahren hat sich Chinas industrielle Strategie noch weiterentwickelt, mit einem verstärkten Fokus auf technologische Selbstständigkeit, Innovationen und Investitionen in Künstliche Intelligenz und erneuerbare Energien. Bis zum Staatsjubiläum im Jahr 2049 will China in Wissenschaft und Forschung auf Augenhöhe mit den USA sein und im Hochtechnologiesektor unabhängig von internationalen Zulieferern werden. Wenn China möchte, könnte es sich dann wieder abschotten und sich auf seinen eigenen großen Binnenmarkt konzentrieren.

Im drohenden Handelskrieg zwischen der EU und China aufgrund der geplanten Strafzölle auf chinesische Elektrofahrzeuge sind nach anfänglichem Säbelrasseln nun versöhnlichere Töne vernehmbar.

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Handelsbeziehungen kühlen sich ab

Allerdings wurde für China die Aneignung von westlichem Branchen-Know-how etwas schwieriger. Zunehmende regulatorische Kontrollen und eine Verknappung der Liquidität haben in China den Appetit auf internationale Akquisitionen gedämpft. In Österreich war das etwas anders, hier sind chinesische Investoren dennoch stark präsent, etwa bei Unternehmen wie Atomic, FACC, ATB, Palfinger, Wolford und Diamond Aircraft.

Umgekehrt stehen auch ausländische Unternehmen in China unter starkem regulatorischem Druck, der sie oft in Konflikt mit ihren europäischen Standards bringt. Beispielhaft dafür war die 2018 gestartete Kampagne, Fluggesellschaften zu zwingen, Taiwan als „Taiwan, China“ zu bezeichnen, was auch Austrian Airlines betraf.

Unternehmen mit bedeutenden wirtschaftlichen Interessen in China müssen sich daher oft den lokalen Gepflogenheiten und politischen Anforderungen anpassen. Diese Situation ist letztlich auch ein Grund dafür, weshalb sich die Begeisterung für den an sich attraktiven chinesischen Markt in Grenzen hält und sich österreichische Firmen auch wieder davon verabschieden.

EU zwischen Hochtechnologie und traditioneller Industrie

Für die EU ist die jetzige Situation kein Novum. Denn eigentlich hat sie schon seit den 1990er-Jahren mit der Abwanderung von Unternehmen in Länder mit niedrigeren Produktionskosten zu kämpfen. Um dem entgegenzuwirken, hat die EU Ende 2019 das Konzept ihres Green Deals vorgestellt. Er zielt darauf ab, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen.

Finanzielle Unterstützung dafür bietet der "Just Transition Fund". Für den Strukturwandel sollen von 2021 bis 2027 EU-weit 17,5 Mrd. Euro an JTF-Mitteln in die am stärksten vom Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft betroffen Regionen investiert werden, auf Österreich entfällt davon ein JTF-Mittelanteil von rund 135 Mio. Euro.

Die bisherigen Erfahrungen mit der EU-Standortpolitik für die Industrie fallen allerdings ernüchternd aus: Einerseits verzerrt sie nachteilig die Wettbewerbsbedingungen für die europäische Industrie, wobei sie mit einer Vielzahl an Regulativen gekoppelt ist. Andererseits erweisen sich die Zielsetzungen im Sinne des Klimaschutzes als nicht wirklich realistisch, weshalb es in vielen Fällen bei Ankündigungen bleiben wird und jüngst auch zurückgerudert wurde. In dem Umfeld, in dem die europäische Industrie derzeit agieren muss, wird der Klimaschutz zwar sicher nicht als notwendiges Übel angesehen, aber der große Bringer ist der Green Deal auch nicht – und im Gegensatz zu den USA ist er sogar Inflationstreiber.

Zukünftig wird der Wettbewerb um Investitionen und technologische Führerschaft wohl weiter zunehmen. Handelskonflikte, geopolitische Spannungen und die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung werden die industrielle Landschaft also auch in den kommenden Jahren prägen.

Der in Polen produzierte Alfa Romeo „Milano“ musste auf „Junior“ umgetauft werden, weil er ansonsten als italienisches Produkt angesehen werden würde.

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Alfa Romeo: Warum aus dem „Milano“ ein „Junior“ wurde

Italiens Regierung ist sehr konsequent beim Schutz heimischer Interessen.

Rom geht gezielt gegen im Ausland hergestellte Fahrzeuge vor, die mit einem Bezug zu Italien beworben werden. In einer der wichtigsten Wochen für die Zukunft von Alfa Romeo erklärte am 15. April, am nationalen Tag des "Made in Italy", ein italienischer Regierungsvertreter, dass die Verwendung des Namens “Milano“, der für das neue Compact Sports Car gewählt wurde, gesetzlich verboten sei. Diese Entscheidung erfolgte nach einer Debatte darüber, ob der Name „Milano“ gegen ein italienisches Gesetz aus dem Jahr 2003 verstößt und suggeriert, dass das in Polen produzierte Fahrzeug ein italienisches Produkt sei. Obwohl Alfa Romeo als Tochter der internationalen Stellantis-Gruppe der Meinung war, dass der Name „Milano“ alle rechtlichen Anforderungen erfüllt, hat das Unternehmen beschlossen, den Namen in „Alfa Romeo Junior“ zu ändern.

Auch der italienische Autohersteller DR Automobiles bekam jüngst Probleme mit der italienischen Regierung. Er soll nun wegen falscher Angaben zum Herstellungsort seiner Fahrzeuge 6 Millionen Euro Strafe zahlen. Die italienische Wettbewerbsaufsicht wirft dem Unternehmen vor, Autos der Marken DR und EVO fälschlicherweise als in Italien hergestellt deklariert zu haben. „Es handelte sich um in China hergestellte Fahrzeuge, mit Ausnahme einer geringfügigen Endbearbeitung“, so die Behörde.