Wohnbau : Schwankendes Schiff mit Stabilisierungsbedarf
Der massive Einbruch im privaten und großvolumigen Wohnbau - die Bautätigkeit ist um rund 30 Prozent zurückgegangen - beschert der heimischen Bauwirtschaft eine veritable Krise.
Der großvolumige Wohnungsbau sei, so Robert Jägersberger, Innungsmeister Bau in Niederösterreich, sehr stark rückläufig, der private Hausbau fast zum Stillstand gekommen. Daran wird sich 2024 nichts ändern: Prognosen des WIFO zufolge soll die Bautätigkeit nach einem Minus von 3,5 Prozent im Jahr 2023 heuer neuerlich um vier Prozent sinken.
Die Folgen sind bereits sichtbar: So ist im Vorjahr die Zahl der Insolvenzen in der Branche um 21 Prozent auf knapp 940 geklettert und auch die Arbeitslosigkeit hat mit einem Plus von 5,7 deutlich stärker als in den anderen Branchen zugenommen. Im Jänner stieg die Arbeitslosigkeit am Bau neuerlich um 6,6 Prozent – damit waren rund 61.400 der insgesamt rund 343.800 arbeitslos gemeldeten Personen diesem Sektor, der gerne auch als Konjunkturmotor bezeichnet wird, zuzuordnen.
„Der Bau ist definitiv wichtig, selbst wenn er im Vergleich zu Industrie und Sachgütererzeugung einen nicht so großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt hat“, sagt Michael Klien vom WIFO. Bau und Baunebengewerbe tragen demnach zwischen fünf und sechs Prozent zur heimischen Bruttowertschöpfung bei, der Anteil der Industrie hingegen liegt zwischen 28 und 29 Prozent. Der Punkt ist allerdings, dass die Krise am Bau sich allmählich auch auf andere Branchen, wie die Herstellung von Baumaterialien, auf Architekten, Ziviltechniker und nicht zuletzt den Möbelhandel, auszuwirken beginnt. „Nimmt man allein die Produktion von Baumaterialien und die Architekten dazu, sind wir schon bei einem BIP-Anteil des Baus von rund zehn Prozent“, so Klien.
Dazu komme, dass der Einbruch nach Jahren des Booms durch Inflation und Zinswende dramatisch beschleunigt wurde.
Denn der Abschwung am Bau hat sich schon seit einigen Jahren angekündigt, wie sich aus den Baubewilligungen ablesen lässt: Wurden 2019 nach Angaben der Statistik Austria österreichweit noch 85.000 Wohnbauten bewilligt, waren es 2021 nur noch 72.400 und 2023 rund 50.000 – ein Trend, der sich auch heuer fortsetzen dürfen. Hauptgrund dafür sind die in diesem Zeitraum massiv gestiegenen Kosten: So sind allein im Jahr 2022 die Preise für Baustoffe – getrieben unter anderem durch hohe Nachfrage und Probleme in den Lieferketten – teils um etwa 16 Prozent gestiegen, während die Lohnkosten nur um drei Prozent zulegten.
„Zuletzt waren die Materialkosten zwar rückläufig, durch die hohen Lohnabschlüsse im Vorjahr stagnieren die Baukosten allerdings“, sagt Klien. Parallel dazu hat die Europäische Zentralbank als Reaktion auf die explodierende Inflation seit Sommer an der Zinsschraube gedreht – mit der Folge, dass auch die Kreditzinsen deutlich stiegen. Gleichzeitig wurde in Österreich mit der Einführung der KIM-Verordnung die Aufnahme von Krediten deutlich erschwert: Sie schreibt für einen Kredit einen Eigenmittelanteil von 20 Prozent sowie eine maximale Kreditlaufzeit von 35 Jahren vor und begrenzt die Rückzahlungsrate dafür auf höchstens 40 Prozent des Haushaltseinkommens.
Das hat dazu geführt, dass nach Angaben des KSV1870 allein in den ersten drei Quartalen die Zahl der Hypothekarkredite um 50,6 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2022 zurückgegangen ist. Besonders betroffen seien junge Menschen (bis 35 Jahre), so der KSV1870: In dieser Alterskategorie hat sich die Anzahl der gewährten Kredite zuletzt sogar um 57,6 Prozent reduziert. Parallel dazu ist auch das generelle Finanzierungsvolumen im Schnitt um sieben Prozent auf 196.000 Euro gesunken.
Kein Wunder also, dass sowohl private Häuslbauer als zahlreichen Bauträger bei Projekten – selbst bei bereits bewilligten – auf der Bremse stehen. „Wir haben mehrere Projekte, die praktisch in den Startlöchern stehen“, so Andreas Holler, Geschäftsführer der Buwog, kürzlich bei der Präsentation des gemeinsam mit dem Immobiliendienstleister EHL präsentierten Wiener Wohnungsmarktberichts.
„Es rechnet sich derzeit einfach nicht“, ergänzte Daniel Riedl, Vorstandsmitglied der deutschen Buwog-Mutter Vonovia. Bau und Finanzierung von Wohnimmobilien würden derzeit mehr kosten als einbringen. „Der Wert, den wir generieren können, liegt unter den Produktionskosten“, so Riedl.
Wie viele andere Experten in den Monaten zuvor, warnten auch EHL und Buwog angesichts der Lage vor einem drohenden Wohnungsmangel. Insbesondere bei Eigentumswohnungen und freifinanzierten Mietwohnungen wird sich demnach das Angebot ab 2025 deutlich verknappen, weil der Bedarf steige, die Zahl neuer Wohnungen aber sinke. Doch es gibt noch andere Risiken: So könnten sich arbeitslose Bauarbeiter neu orientieren und die Branche verlassen.
Das würde einerseits die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen, die zur Dekarbonisierung der Gebäude dringend notwendig sind, erzögern. Anderseits gebe es damit zu wenig Fachkräfte, wenn der Neubau wieder anspringe, warnt Klien. Er tritt daher für ein Stabilisierungspaket für den Wohnbau ein. „Wir haben unbestritten eine Krise im Neubau, die Sanierungsförderung kann sie nur abfedern, aber nicht lösen“, so der Ökonom.
KIM lockern
Die Schrauben, an denen mit dem Paket gedreht werden sollte, sind Bau- und Finanzierungskosten, da diese zu dem Einbruch geführt hätten. Erstere dürften allerdings langsam sinken, müssten Bauunternehmen laut Klien mittlerweile doch „sehr wettbewerbsfähige“ Preise vorlegen, um an Aufträge zu kommen.
Auf der Finanzierungsseite hält der Ökonom unter anderem die Lockerung der KIM-Verordnung für sinnvoll. Eine andere Möglichkeit wäre, den Ländern mehr Budget für die Wohnbauförderung zur Verfügung zu stellen, um den geförderten Wohnbau zu forcieren. „Man könnte sich auch auf die alte Wohnbauförderung rückbesinnen, bei der Darlehen günstiger vergeben wurden“, sagt Klien. Diese würden nämlich als Eigenmittel gezählt, wodurch es leichter wäre, die KIM-Verordnung zu erfüllen.
Allzu lang Zeit sollte sich die Regierung mit ihren Stabilisierungsmaßnahmen angesichts der langen Vorlaufzeiten am Bau nicht lassen, habe man doch ohnehin schon wertvolle Zeit verstreichen lassen. „Eigentlich hätte man schon früher reagieren müssen. 2023 war ein verlorenes Jahr“, so Klien.
Eines müsse aber klar sein: Der Staat könne nicht ununterbrochen Boomphasen produzieren, es gehe vielmehr darum, dass der Einbruch nicht so stark werde. „Wir sollten uns auf ein paar magere Jahre mit mehr Arbeitslosigkeit und einer geringeren Beschäftigung am Bau einstellen“.