KI in der Medizin : Jürgen Schmidhuber über KI in Medizin und Allzweckroboter: Welches Land wird Weltgeschichte ändern?
Inhalt
- Medizinische Robotik: Wo KI an ihre Grenzen stößt
- Arbeitswelt im Wandel durch KI – Verlust oder Verlagerung?
- KI in der Industrie: Auf dem Weg zur nächsten Revolution
- Reale KI in der realen Welt: Welche Rolle kann Österreich spielen?
- Emotionale KI: Zwischen Einsamkeitslösung und psychischer Gefahr
- Wer ist Jürgen Schmidhuber?

Jürgen Schmidhuber beim MönchsbergForums in Salzburg
- © Salzburg AG/LeoWie könnte Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin Diagnosen verbessern und Leben verlängern?
Die WIRTSCHAFTSNACHRICHTEN trafen Jürgen Schmidhuber, "Vater der Generativen KI" und meistzitierter deutschsprachiger Informatiker, zum Exklusivinterview.
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WIRTSCHAFTSNACHRICHTEN: Künstliche Intelligenz wird bald in allen Bereichen des Lebens eine noch viel größere Rolle spielen als die Meisten heute annehmen. Überwiegen die produktiven Potenziale oder die Gefahren?
Jürgen Schmidhuber: Erstere!
Inwiefern?
Schmidhuber: Schon heute macht unsere KI Menschenleben länger, gesünder, und leichter. Im Jahr 2012 beispielsweise konnte mein in der Schweiz ansässiges Team erstmals durch "deep learning" einen medizinischen Bilderkennungswettbewerb zur Krebsfrüherkennung gewinnen.
Seither wurden viele Startups gegründet, die sich nur auf dieses Feld konzentrieren. Bald wird alle medizinische Diagnostik – wie Radiologie, CT Scan Analyse, Röntgenbildanalyse, Biosignalanalyse, etc. – übermenschlich gut sein.
Medizinische Robotik: Wo KI an ihre Grenzen stößt
Über welche Fähigkeiten in der Medizin verfügt KI neben der Diagnostik – etwa wenn es um chirurgische Eingriffe geht?
Schmidhuber: Mit richtigen Robotern, die autonom chirurgische Eingriffe vornehmen, sollte man im Moment noch vorsichtig sein. Doch bei Diagnostik-Anwendungen ist die Lage eine andere.
Eine einfache Google Scholar-Suche führt zu unzähligen medizinischen Artikeln, die unser künstliches neuronales Netz „Long Short-Term Memory (LSTM)“ im Titel tragen.
Die Österreichische Computergesellschaft über KI in Gesellschaft und Wirtschaft: Wie sich Ausbildung verschiebt
Arbeitswelt im Wandel durch KI – Verlust oder Verlagerung?
Was die Wirtschaft betrifft, sprechen Skeptiker bezüglich KI von Arbeitsplatzverlusten, positiv eingestellte Menschen sagen, es fallen nur jene Tätigkeiten weg, die ohnehin niemand machen möchte und Menschen können sich auf andere Aufgaben konzentrieren. Sie verlieren deshalb kaum Jobs. Welches Argument ist näher an der Wahrheit dran?
Schmidhuber: Ich kann natürlich nicht für die Vorlieben der Einzelnen sprechen – mancher tut vielleicht gerne manchen Job, den andere nicht tun wollen. Betrachtet man aber die gesamte Gesellschaft aus statistischer Perspektive, lässt sich feststellen: Vor 200 Jahren waren 60 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft tätig, heute lediglich noch eineinhalb Prozent. Trotzdem gibt es nur fünf Prozent Arbeitslose, weil lauter neue Berufe entstanden sind, zumeist Luxusberufe.
Es gilt mein alter Spruch aus den 1980ern: Es ist leicht vorherzusagen, welche Jobs verloren gehen, aber schwer zu prognostizieren, welche neuen entstehen. Wer hätte vor 40 Jahren neue Berufe wie den professionellen Videospieler vorhergesehen?
Allgemein gesprochen werden KIs gemäss dem alten Motto unserer Firma das Leben der Menschen weiterhin gesünder und länger und leichter machen.
KI in der Industrie: Auf dem Weg zur nächsten Revolution
Wie weit sind wir von der nächsten industriellen Revolution entfernt und welches Potenzial birgt KI für den Sektor Industrie generell?
Schmidhuber: Die einzige KI, die heute gut funktioniert, ist die KI in der virtuellen Welt hinter dem Bildschirm – beispielsweise um Dokumente zusammenzufassen, Bilder oder Programme zu erstellen.
Das nächste große Ding wird KI in der physikalischen Welt sein. Letztere ist jedoch viel anspruchsvoller als die besagte Welt hinter dem Bildschirm. Es gibt keinen KI-gesteuerten, fußballspielenden Roboter, der mit einem kleinen Jungen mithalten könnte. Es gibt keinen Roboter, der das kann, was ein Klempner kann. Das wird zwar auch irgendwann kommen, aber dafür reicht die KI-Softwareforschung nicht. Sie muss kombiniert werden mit der physikalischen Welt der Maschinen und Roboter und Fabriken.
Was man bräuchte, wäre ein Allzweckroboter, der lernen kann, alle von Menschen ungeliebten Arbeiten zu erledigen. In nicht allzu ferner Zukunft wird irgendwer erstmals kostengünstig derartige intelligente, aber nicht notwendigerweise superintelligente Roboter herstellen, mit denen Menschen reden und interagieren können, und denen sie ohne große Vorkenntnisse etwas Neues beibringen können. Ansätze hierzu gibt es schon.
KI-gesteuerte Allzweckroboter wären natürlich auch extrem exportfähig, da viele gerne solche hätten, um Tausende von unbequemen Arbeiten zu erledigen. Und sie wären extrem skalierfähig, denn ein Roboter, der die Werkzeuge und Maschinen bedienen kann, die derzeit von Menschen bedient werden müssen, kann natürlich auch mehr von seiner eigenen Sorte bauen und bei Bedarf reparieren.
Das wäre die ultimative Skalierungsmaschine: nicht nur selbstreplizierende und sich selbst verbessernde Software – nein, lebensähnliche, selbstreplizierende und sich selbst verbessernde Hardware.
Das Land, das durch eine Kombination von Privatinitiative, Universitätsprojekten und Industriepolitik als erstes solche Allzweckroboter hervorbringt, wird die Weltgeschichte ändern.
Reale KI in der realen Welt: Welche Rolle kann Österreich spielen?
Welche Länder befinden sich diesbezüglich vorwiegend im Wettstreit? Und spielt Österreich dabei auch eine Rolle?
Schmidhuber: Das Feld der Realen KI in der Realen Welt ist noch nicht überlaufen. Es ist nämlich gar nicht einfach, die bisher weitgehend getrennten Felder des Maschinenbaus und der Robotik mit dem maschinellen Lernen zu kombinieren.
Auf 10.000 KI-Software-Firmen kommen vielleicht nur 10 KI-Roboter-Firmen. Die DACH-Länder (Deutschland, Österreich, Schweiz) hätte hier mit ihrem starken Maschinenbau also immer noch eine Chance, international führend zu werden.
Allerdings erklärte ich das Entscheidungsträgern des DACH-Raums schon vor vielen Jahren, und seither ging wenig voran.
Emotionale KI: Zwischen Einsamkeitslösung und psychischer Gefahr
KI-Chatbots werden heute schon zu Freunden von Menschen und können Einsamkeit lindern. Emotionale Bindungen zu diesen Chatbots können aber auch zu psychischen Risiken führen. Darf man dieser Art von KI Vertrauen schenken?
Schmidhuber: Nein. Aber manchen tut die Interaktion mit solchen Chatbots anscheinend trotzdem gut.
Wer ist Jürgen Schmidhuber?
Seit seinem 15. Lebensjahr will Jürgen Schmidhuber eine sich selbst verbessernde KI bauen, die klüger ist als er selbst, um dann in Rente zu gehen.
1990-91 publizierte er an der TU München Grundlagen der "Generativen KI": ein "Generative Adversarial Network" (heute macht man damit "DeepFakes"), eine Transformer-Variante (siehe das T in ChatGPT), und "Pre-Training" für "Deep Learning" (das P in ChatGPT).
Dies trug ihm den Spitznamen "Vater der Generativen KI" ein. Die tiefen künstlichen neuronalen Netzwerke seines Labors revolutionierten das maschinelle Lernen. Bereits in den 2010er Jahren wurden sie auf Milliarden von Telefonen und anderen Computern jeden Tag vielmilliardenfach genutzt, u.a. für automatische Übersetzung, Spracherkennung, lernende Roboter, Bildbeschreibung, KI-Assistenten und Finanzvorhersage.
Sein Team hatte 2011 auch die weltweit ersten Netze, die besser als Menschen Bilder erkannten. Business Week nannte das in seinem Labor entwickelte LSTM "die wohl kommerziellste Leistung der KI".
Er erfand künstliche Neugier und meta-lernende Maschinen, die das Lernen selbst lernen. Elon Musk schrieb auf X: „Schmidhuber invented everything“.
Er ist der meistzitierte deutschsprachige Informatiker, Gründer verschiedener KI-Firmen, Träger zahlreicher internationaler Preise, ein höchst gefragter Redner und Berater verschiedener Regierungen.