EZB Leitzins : Vier verschiedene Zinspolitiken und wie sie die Welt formen

Lange Zeit liefen im Euroraum die Gelddruckmaschinen auf Hochtouren.

Lange Zeit liefen im Euroraum die Gelddruckmaschinen auf Hochtouren.

- © Deutsche Bundesbank/Christian Thiel

Die Zinspolitik der großen Wirtschaftsräume – der Europäischen Union, der USA, Chinas und Japans – spielt eine zentrale Rolle für die globale wirtschaftliche Entwicklung.

Die vier Regionen verfolgen unterschiedliche Ansätze in ihrer Geldpolitik, die auf ihren jeweiligen wirtschaftlichen Strukturen und aktuellen Herausforderungen basieren.

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EZB-Notbremsung brachte uns ins Schleudern

So hat die Europäische Zentralbank (EZB) auch noch lange nach der Finanzkrise im Jahr 2008 eine sehr akkommodierende Geldpolitik verfolgt, mit historischen Niedrigzinsen und einem umfangreichen Anleihekaufprogramm bzw. dem Quantitative Easing. Die Mitgliedsstaaten waren so in der Lage, ihre Schulden zu sehr günstigen Konditionen zu tilgen.

Erst mit dem Einbruch der Konjunktur aufgrund der Corona-Pandemie und der hohen Energie- und Rohstoffpreise in Folge des Ukraine-Krieges erfolgte – sehr spät – ein Umdenken.

Um die grassierende Inflation in den Griff zu bekommen, wurde quasi gleich die Notbremse gezogen, anstatt die Bremswirkung gezielt über einen längeren Zeitraum zu dosieren. Die Höhe der Zinslast hat viele überfordert und bremst nun auch wichtige Investitionen, die notwendig wären, um die Konjunktur innerhalb der Eurozone wieder in Gang zu bringen.

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Besonders negativ wirkt sich dies dort deshalb aus, weil die EU zwar ein Binnenmarkt mit gemeinsamen Regeln ist, die einzelnen Volkswirtschaften aber unterschiedlich erfolgreich bei der Bekämpfung der Inflation waren und sind.

Auch wenn bereits die erste Zinssenkung erfolgte und weitere Schritte in diese Richtung zu erwarten sind, müssen dabei die Volkswirtschaften genau genommen immer Rücksicht auf Nachzügler – wie etwa Österreich – nehmen, zumal mittelfristig eine Inflationsrate von durchschnittlich 2 Prozent angestrebt wird.

Das gilt insbesondere für Staaten wie Italien, Litauen oder Finnland, deren Inflation zuletzt unter einem Prozent lag. Insofern besteht ein nicht zu unterschätzendes Risiko einer wirtschaftlichen Fragmentierung innerhalb der Eurozone, wenn die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten weiter zunehmen.

Zinserhöhung: Rückwärtsgang in den USA

Unter Druck ist zuletzt auch die US-Notenbank gekommen, die seit 2022 eine aggressive Zinserhöhungspolitik verfolgt, um die Inflation zu bekämpfen, die nach der Pandemie und infolge der expansiven Fiskalpolitik erheblich gestiegen war.

Die Fed erhöhte die Zinsen mehrfach im Jahr 2023, was die höchste Zinsrate seit der Finanzkrise 2008 zur Folge hatte. Dies stärkte das Vertrauen in den Dollar und stabilisierte die Wirtschaft mittelfristig.

Allerdings barg auch in den USA die rasche Straffung der Geldpolitik das Risiko, eine Rezession auszulösen, da hohe Zinsen die Konsumnachfrage und die Investitionen bremsen – und auch die staatliche Schuldenlast erhöhen, was weniger öffentliche Aufträge nach sich zieht.

So steht die Fed aktuell vor einem schwierigen Balanceakt zwischen einer immer noch relativ hohen Inflation und der Aufgabe, die anspringende Konjunktur nicht abzuwürgen. Sie wird bei den Zinsen sehr wahrscheinlich einen Rückwärtsgang einlegen, zumindest ist diese Entwicklung bereits an der Wallstreet mehr oder weniger eingepreist.

Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB, hat zuletzt im Euroraum eine Zinswende eingeleitet.
Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB, hat zuletzt im Euroraum eine Zinswende eingeleitet. - © EZB

Nullzinspolitik adé: Fährt Japan gegen die Wand?

Wie sensibel die Weltwirtschaft auf zinspolitische Schritte reagiert, zeigte sich zuletzt auch dort, als Japan nach vielen Jahren erstmals die Zinsen erhöhte. Der 5. August bzw. der Schwarze Montag an den asiatischen Börsen stellte auch in New York, London und Frankfurt das Vertrauen der Anleger auf eine harte Probe. Das Gespenst einer weltweiten Rezession sorgte in den USA u.a. dafür, dass sich viele von ihren Aktien in der KI-Branche trennten.

Dabei war es schon lange abzusehen, dass sich Japan im Sommer von seiner Nullzins- oder sogar Negativzinspolitik verabschieden wird. Ähnlich wie die EZB im Euroraum hat sich die Bank of Japan (BoJ) verpflichtet, die Zinsen niedrig zu halten und ein umfangreiches Programm zum Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren fortzuführen. Nachdem aber nicht nur die Deflationsgefahr gebannt war, sondern auch eine Inflation sowie hohe Lohnrunden ins Haus standen, musste sich auch Japan umorientieren.

Für einen Wirtschaftsraum mit einer seit Jahren schwächelnden Ökonomie, die am Tropf eines stark verschuldeten Staates hängt, war die Erhöhung der Zinsen ein sehr mutiger Schritt, längerfristig vielleicht aber auch so etwas wie Harakiri.

Für US-Notenbank-Chef Jerome Powell ist die Zeit für eine Zinssenkung nun reif.
Für US-Notenbank-Chef Jerome Powell ist die Zeit für eine Zinssenkung nun reif. - © Federalreserve

China hält die Zinsen niedrig

Die chinesische Wirtschaft steht aktuell vor Herausforderungen wie einer schwachen Nachfrage, einer Krise im Immobiliensektor und demografischen Verwerfungen. Im Juli erreichte die Kreditvergabe den niedrigsten Stand seit fast 15 Jahren.

Ökonomen gehen daher davon aus, dass die Regierung zusätzliche Maßnahmen ergreifen wird, um das angestrebte Wirtschaftswachstum von etwa fünf Prozent in diesem Jahr zu erreichen.

Dabei hat die People's Bank of China (PBoC) schon in den letzten Jahren die Zinsen niedrig gehalten und verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Liquidität im Finanzsystem zu erhöhen.

Eine potenzielle Gefahr dieser expansiven Geldpolitik könnte jedoch darin liegen, dass sie langfristig zu einer übermäßigen Verschuldung und zu Blasenbildungen in verschiedenen Sektoren führt, was die wirtschaftliche Stabilität gefährden könnte.

Eine weitere Verschärfung der globalen Handelskonflikte, wie wir sie derzeit erleben, könnte zudem den Spielraum der PBoC einschränken.

Die Höhe der Zinslast hat viele überfordert und bremst nun auch wichtige Investitionen, die notwendig wären, um die Konjunktur innerhalb der Eurozone wieder in Gang zu bringen.

- © Deutsche Bundesbank/Niels Thies

Schwellenländer im Windschatten der Zinspolitik

Die jüngsten Entwicklungen in Wirtschaftsräumen wie der USA, der EU, Japan oder China blieben auch nicht ohne Auswirkungen auf Schwellenländer wie Argentinien, Indonesien oder Ägypten.

So wurde Ägypten beispielsweise durch die Zinspolitik der US-Notenbank besonders hart getroffen, während sich gleichzeitig die Preise für Getreide durch den Ukrainekrieg dramatisch verteuerten. Die Folge war eine drastische Abwertung des ägyptischen Pfunds und ein empfindlicher Schwund der Dollarreserven.

Solche Schritte können schließlich zu einem Abfluss von Kapital aus Schwellenländern führen, wo die Risiken höher sind und die Renditen möglicherweise geringer ausfallen. Dies wiederum kann die Inflation in den Schwellenländern weiter anheizen, da importierte Güter teurer werden und die Zentralbanken dieser Staaten gezwungen werden, ihre eigenen Zinssätze anzuheben, um die Inflation zu kontrollieren und den Kapitalabfluss zu begrenzen.

Die lockere Geldpolitik Chinas hingegen – als einer der größten Rohstoffimporteure der Welt – könnte die Nachfrage nach Rohstoffen aus Schwellenländern stützen und damit dort die Preise stabilisieren. Allerdings hängt dies stark von der wirtschaftlichen Entwicklung in China ab. Ein anhaltender wirtschaftlicher Abschwung könnte die Nachfrage nach Rohstoffen senken und die Exporterlöse der Schwellenländer weiter unter Druck setzen.

Schwellenländer sind daher gut beraten, ihre Handelsbeziehungen so gut wie möglich zu diversifizieren, um weniger abhängig von den großen Volkswirtschaften zu sein. Indien hat beispielsweise in den letzten Jahren versucht, seine Handelsbeziehungen zu anderen asiatischen Ländern, zu Russland und Afrika zu stärken, um sich gegen externe Schocks abzusichern.

Problematisch ist in diesem Kontext aktuell, dass solche durchaus pragmatischen Schritte vom Westen in einer Welt sich verschärfender Konflikte als ein politisches Pro- oder Kontra-Statement gedeutet werden. Vergessen wird bei uns dabei allerdings, dass wirtschaftliche Krisen in den Schwellenländern – auch aufgrund der weltweiten Zinspolitik – wieder weitere globale Konfliktherde schaffen können.