Nationalratswahlen Österreich 2024 : „Ziel sollte sein, mit weniger Geld besser zu wirtschaften“

Der leere Plenarsaal im Inneren des österreichischen Parlaments in Wien

Kanzler Karl Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler sehen für ein Sparpaket keine Notwendigkeit. Ein solches muss nicht immer aus neuen Steuern bestehen, ist Monika Köppl-Turyna überzeugt.

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Wirtschaftsnachrichten: Ende September stehen Nationalratswahlen an – wo besteht Ihrer Ansicht nach der größte Handlungsbedarf für die künftige Regierung?

Monika Köppl-Turyna: Eine der größten Herausforderungen wird es sicher sein, die Staatsfinanzen wieder auf gesündere Beine zu stellen.


Die Staatsverschuldung ist ja in den vergangenen Jahren stark gestiegen...

Köppl-Turyna:
Genau. Prognosen zufolge liegen die Defizite in den kommenden Jahren über der Maastrichtgrenze von drei Prozent. Für heuer prognostiziert der Fiskalrat beispielsweise ein Defizit von 3,4 Prozent. In Zahlen sind das 21 Milliarden Euro – um zwei Milliarden zu viel. Wobei fraglich ist, ob es nicht sogar mehr werden: Im ersten Halbjahr waren wir schon bei 14 Milliarden Euro.


War der Staat zu großzügig?

Köppl-Turyna:
Ja. Allerdings muss man sagen, dass der fiskalische Spielraum diese Großzügigkeit ermöglicht hat. Daher war es auch möglich, dringend notwendige Reformen zu vermeiden. Aber jetzt ist das Limit erreicht.

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Wie ein Sparpaket aussehen könnte

Sie plädieren, wie andere Ökonominnen und Ökonomen, deshalb für ein Sparpaket. Kanzler Karl Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler hingegen sehen dafür keine Notwendigkeit.

Köppl-Turyna:
Ein Sparpaket ist absolut notwendig, anders wird es nicht gehen. Der Großteil des Defizits ist nicht konjunkturell, sondern strukturell bedingt. Das heißt, es gibt Kategorien, in denen die Ausgaben in den nächsten Jahren weiter steigen werden. Das gilt angesichts der demografischen Entwicklung ganz besonders für Pensionen, Gesundheit und Pflege. Somit wird die Verschuldung weiter steigen, wenn nicht gegengesteuert wird. Oder anders gesagt: Unpopuläre Maßnahmen zu vermeiden, löst die Probleme nicht.


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Wie könnte ein Sparpaket also ausschauen?

Köppl-Turyna:
Indem man bei den Strukturen ansetzt und deren Effizienz erhöht. Ziel sollte sein, mit weniger Geld besser zu wirtschaften – andere Staaten zeigen, dass das sehr wohl möglich ist.


Wo könnte man ansetzen?

Köppl-Turyna:
Ein Punkt ist das Gesundheitswesen. Die höchsten Ausgaben gibt es im stationären Bereich, im ambulanten Bereich sind sie niedriger und in der Prävention sind sie verschwindend gering. Es gibt zwar Bemühungen, etwa mit den Primärversorgungszentren, mehr vom stationären in den ambulanten Bereich zu verlagern, der neue Finanzausgleich schlägt ebenfalls in diese Kerbe. Darüber hinaus würde es Sinn machen, mehr auf Prävention zu setzen, wie es andere Länder bereits tun. Im Bildungssystem gibt es ebenfalls Potenzial zur Effizienzsteigerung: Österreich gibt beispielsweise im Jahr 2024 für den Bildungsbereich rund 11,5 Milliarden Euro aus. Wie die PISA-Studie zeigt, lässt aber der Output zu wünschen übrig.

Über das Fördersystem, Pensionssystem und Pensionsantrittsalter

Wie viel könnte mit Effizienzsteigerungen in diesen Bereichen eingespart werden?

Köppl-Turyna:
Unseren Berechnungen zufolge könnten im Schul- und Gesundheitssystem sowie der Verwaltung bis zu 4,5 Prozent des BIP gespart werden. Und das ohne Leistungsverlust.


Für welche Bereiche gilt das noch?


Köppl-Turyna:
Unter anderem für Förderungen. Die Ausgaben für direkte und indirekte Förderungen allein auf Bundesebene haben sich zuletzt auf 38 Milliarden Euro belaufen. Das Fatale daran ist einerseits, dass oft gar nicht überprüft wurde, ob die gesetzten Ziele damit erreicht wurden und dass es andererseits oft zu Doppel- oder gar Dreifachförderungen kam.


Sie erwähnten eingangs auch das Pensionssystem…


Köppl-Turyna:
An einer Pensionsreform führt kein Weg vorbei, da ist es nicht fünf vor, sondern nach zwölf. Allein bis 2027 sollen die Pensionsausgaben des Bundes auf 35,2 Milliarden Euro steigen. Aber natürlich braucht es dabei Übergangsfristen und -bestimmungen.


Eine Forderung in diesem Zusammenhang ist, das tatsächliche Pensionsantrittsalter an das gesetzliche heranzuführen


Köppl-Turyna:
Die Forderung ist legitim, aber aufgrund der Ab- und Zuschläge leider nur eine kurzfristige Lösung.

Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria, spricht im Interview über Wirtschaftsstandort Österreich, Staatsbudget und dringend notwendige Reformen.
Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria: "An einer Pensionsreform führt kein Weg vorbei, da ist es nicht fünf vor, sondern nach zwölf." - © Copyright: Foto Weinwurm GmbH., Burggasse 56, 1070 Wien

Steuern, Lohnnebenkosten und Investitionen

Mit dem Begriff Sparpaket werden in der Regel neue Steuern verbunden. Die haben Sie bisher nicht erwähnt – spielen sie keine Rolle?

Köppl-Turyna:
Natürlich kann man immer über neue oder höhere Steuern konsolidieren. Aber Österreich weist im jährlichen OECD-Vergleich bei der Steuer- und Abgabenquote neuerlich den dritthöchsten Wert auf. Da ist nicht mehr viel Spielraum dafür. Abgesehen davon stellt sich unter diesen Umständen die Frage, was man damit erreicht: Für den Wirtschaftsstandort Österreich nichts Gutes. Der hat ja durch die Energiepreissteigerungen und sowie die hohen Lohnabschlüsse an Attraktivität verloren. Letzteres hat die ohnehin bereits hohen Lohnstückkosten weiter nach oben geschraubt.


Wirtschaftsvertreter werden ohnehin nicht müde, eine Senkung der Lohnnebenkosten zu fordern...


Köppl-Turyna:
Für den Standort wäre es definitiv wichtig, die Abgaben auf Arbeit zu reduzieren. Aber das geht nicht ohne Reformen, da damit unter anderem das Pensionssystem finanziert wird.


Ich möchte noch kurz mit Ihnen über das Thema Investitionen reden: Warten Unternehmen auf weitere Zinssenkungen der EZB?


Köppl-Turyna:
Man muss dazu sagen, dass nach Corona generell viel investiert wurde, wir gehen also von einem hohen Niveau aus. Und natürlich spielen dabei die Zinsen eine Rolle. Aber wenn wir von Investitionen im Sinne einer Entscheidung für einen neuen oder den Ausbau eines bestehenden Standortes reden, spielen andere Faktoren eine noch viel wichtigere Rolle. Diese Entscheidungen werden ja langfristig geplant, da sind beispielsweise der Ausbau der Infrastruktur für Strom, Verkehr, Wasserstoff und so weiter, aber auch lange Verfahrensdauern ein entscheidendes Thema.


Eine letzte Frage: Wie stehen Sie zur Verkürzung der Arbeitszeit?


Köppl-Turyna:
Ich sehe darin kaum Positives. Sie würde zu einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und in den allermeisten Branchen zu keiner Produktivitätssteigerung führen. Wir haben errechnet, dass das BIP bei einer Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 32 Wochenstunden ohne Lohnausgleich im ersten Jahr je nach Modellannahmen zwischen 4,7 und 6,5 Prozent geringer ausfallen würde als in der Prognose ohne Verkürzung. Mit vollem Lohnausgleich liegt der prognostizierte Rückgang zwischen 6,8 und 9,6 Prozent.