Populistische Politik : Politik der Empörung – ein Plädoyer für das gute Argument

Ex-US-Präsident Donald Trump beherrschte die politische Inszenierung der Empörung

Ex-US-Präsident Donald Trump beherrschte die politische Inszenierung der Empörung.

- © Flickr.com/Gage Skidmore

Keine andere politische Person stand in den letzten Jahren sinnbildlicher für einen Politikstil der größtmöglichen Empörung als Ex-US-Präsident Donald Trump. Von der großen Mauer zu Mexiko über Diffamierung des politischen Gegners bis hin zum Handelsstreit mit der EU und China. Donald Trumps Finger hatten schneller eine Twittermeldung getippt, als er zu denken vermag. So scheint es jedenfalls immer noch. Die Folge davon sind unmittelbare Empörung und Erregung bei Gegnern und Befürwortern. Was wie ein erratischer Politikstil eines unkontrollierten Ex-US-Präsidenten wirkt, hat mehr System, als viele seiner Kritiker ihm zutrauen wollen. Aktuell erfreut er sich wieder wachsender Beliebtheit und ist drauf und dran, seine republikanischen Mitbewerber um die Nominierung des nächsten Präsidentschaftskandidaten aus dem Rennen zu drängen. Der „Trumpismus“ ist längst auch in der europäischen Politik angekommen.

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Emotion als Steuerinstrument

Trump verfolgte lange eine Strategie der Empörung, die sich emotionale Erregung zu Nutze macht, um die Aufmerksamkeit der Massen auf sich zu ziehen. Europäische Rechtspopulisten machen es ihm nach. Von Geert Wilders bis Herbert Kickl. Das funktioniert bei Gegnern und bei Befürwortern gleichermaßen. Die Emotion wird dabei als Steuerungselement eingesetzt, um Themenvorherrschaft zu erringen und nicht selten auch, um von anderen Themen abzulenken. Die Strategie der provozierten Empörung lässt alte Skandale z.B. die Ibiza-Affäre schnell vergessen.

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In Zeiten von X (vormals Twitter) und Co. hat sich die Informationsverbreitung derart beschleunigt, dass der Inhalt einer Nachricht mehr oder weniger unerheblich geworden ist. Es geht um eine Schlagzeile, die emotionale Betroffenheit oder Empörung auslöst. Das erzeugt mediale Aufmerksamkeit und desto mehr man davon selbst bekommt, desto weniger bekommt der politische Mitbewerber. Ganz nach dem Motto: „Es ist egal was sie über mich schreiben, aber schreiben Sie meinen Namen richtig.“ Diese Aufmerksamkeit, die einem Politiker zukommt, ist Futter für die Echokammern der jeweiligen Anhängerschaft.

Demonstrationen sind ein demokratisches Recht. Doch von Zeit zu Zeit sollte man sich fragen; geht es nur darum, Gegnerschaft und Empörung Ausdruck zu verleihen, oder bedient man sich noch guter Argumente?
Demonstrationen sind ein demokratisches Recht. Doch von Zeit zu Zeit sollte man sich fragen; geht es nur darum, Gegnerschaft und Empörung Ausdruck zu verleihen, oder bedient man sich noch guter Argumente? - © APA

Beherrschung der öffentlichen Meinung

In der politischen Kommunikation geht es letztendlich darum, die öffentliche Meinung zu beherrschen und die Themenführerschaft zu erringen. Wichtig ist es dabei, langfristig die öffentliche Debatte zu führen und die Aufmerksamkeit zu akkumulieren. Wie das funktioniert kann anhand des Phänomens Jörg Haider in Österreich gut nachzeichnen. Haider nutzte stark Emotion und Empörung, um mit dem Thema „Migration und Ausländer“ die Aufmerksamkeit zu gewinnen und langfristig die öffentliche Debatte zu kontrollieren. Diese erzeugt immer Zustimmung und Ablehnung. Am Anfang natürlich immer verstärkt Letzteres. Doch das ist zunächst irrelevant. Die Empörung, das Hochgehen emotionaler Wogen hilft dabei, ein Thema und einen „Debate Spin“ in der öffentlichen Berichterstattung zu platzieren. Längerfristig geschieht so eine Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung indem ein Thema immer wieder emotionalisierend platziert wird. Liest man dann nur häufig genug gewisse Schlagzeilen, ändert sich auch die subjektive Wahrnehmung zu einem Thema.

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Man beherrscht also die öffentliche Meinung, in dem man die Aufmerksamkeit gewinnt, zunächst völlig ungeachtet, ob die Menschen mehrheitlich eine Position ablehnen oder nicht. Und nichts generiert Aufmerksamkeit mehr als negative Schlagzeilen, die Angst und Empörung auslösen. Dies hat die Psychologie und die Neurologie längst wissenschaftlich bestätig. Angst aktiviert im Gehirn und im Körper instinktive Bedrohungsmechanismen, die unsere Sinne, also unsere Aufmerksamkeit, schärfen. Der Effekt ist einfach erklärt. Potenzielle Bedrohung erfordert Wachsamkeit und auf negative Schlagzeilen und auf vermeintlich bedrohliche Nachrichten reagieren wir instinktiv genau so. Wir schenken diesen eine erhöhte Aufmerksamkeit. Der Spruch „Only bad news are good news“ hat also etwas Wahres. Schlechte Nachrichten verkaufen sich deshalb besser und verbreiten sich schneller, weil wir Menschen mit einer erhöhten Aufmerksamkeit darauf reagieren.

Die Sprache der Angst

Längst ist diese Strategie aber auch bei etablierten Politik-Eliten angekommen. Klimaaktivisten versuchen sich mit frenetischen Angst-Apellen hohe Aufmerksamkeit zu sichern. Auch während der Corona-Pandemie war man überrascht, wie ansonsten gemäßigte Politikerinnen und Politiker schnell in eine Angst-Rhetorik verfielen. So manche Äußerung, die man gegen Ungeimpfte tätigte könnte man ebenfalls als „faschistoid“ verstanden wissen und ist vielen heute wahrscheinlich eher peinlich in Erinnerung. Angst sichert Aufmerksamkeit, benötigt aber eine klar erkennbare Gefahr.

Die Schwarz-Blaue Regierung unter Schüssel wurde am 4. Februar 2000 unter Protesten von mehreren Hunderttausenden angelobt. Türkis-Blau von 2017 unter Kurz und Strache löste dagegen vergleichsweise geringen Protest aus. Die öffentliche Meinung hat sich bereits gedreht.
Die Schwarz-Blaue Regierung unter Schüssel wurde am 4. Februar 2000 unter Protesten von mehreren Hunderttausenden angelobt. Türkis-Blau von 2017 unter Kurz und Strache löste dagegen vergleichsweise geringen Protest aus. Die öffentliche Meinung hat sich bereits gedreht. - © APA/Helmut Fohringer

Feindbilder der Populisten

Diesen Umstand haben Populisten – bewusst oder unbewusst – schon länger erkannt. Daher ist ein unverkennbares Merkmal aller populistischen Parteien und Bewegungen die Schaffung eines Feindbildes. Das können Fremde und Migranten genauso sein, wie „böse“ Kapitalisten und die „gierigen“ Reichen. Wichtig ist, mit einem Feindbild eine Bedrohung aufzubauen und ein „Wir- und die Anderen- Konstrukt“ zu erzeugen. Beispielsweise Wir gegen die Elite oder Innländer gegen Ausländer.

Dabei werden einfache und simplifizierte Antworten auf meist komplexe Probleme angeboten. Doch um eine eigentliche Lösung geht es ja nicht. Es geht darum, möglichst breite Bevölkerungsschichten anzusprechen und mit Emotion und Empörung die Aufmerksamkeit zu erwecken. In der politikwissenschaftlichen Forschung gibt es seit Längerem eine Debatte darüber, ob Populismus überhaupt einer bestimmten Ideologie zuzuordnen ist, oder ob es mehr ein Politikstil ist. In Zeiten von Wahlkämpfen agieren Parteien sehr häufig „populistisch“ und warnen vor dem politischen Mitbewerber. In einem Wahlkampf geht es um Zuspitzung, um Polarisierung und um Aufmerksamkeit.

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Es kommt daher immer häufiger vor, dass sich der Umgangston im Wahlkampf plötzlich auf populistische Art und Weise verschärft. Doch das allein macht noch keine populistische Partei aus. Politikwissenschaftler weisen darauf hin, dass zu einer „echten“ populistischen Bewegung das permanente Feindbild und das Zeichnen einer permanenten Bedrohung zum ideologischen Grundbausatz gehören. Nicht vergessen sollte man dabei, dass populistische Parteien früher oder später immer Opfer ihrer eigenen Feindbilder werden. Kommen Populisten in Regierungsverantwortung lässt sich die Projektion der Bedrohung nicht mehr aufrechterhalten. Das „Wir“ gegen die „Elite“ funktioniert eben nicht, wenn man plötzlich selbst zur Elite wird.

Nigel Farage, der Mastermind hinter dem Brexit, gilt als exzellenter Rhetoriker. Mit populistischer Emotionalisierung hat er jahrelang in Großbritannien die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Britische Medien boten ihm dafür eine Bühne. Auch er ist ein Beispiel dafür, wie man mit Empörung und Emotion Politik machen kann.

- © Jack Taylor/Getty Images

Aufmerksamkeitsökonomie erzeugt dauerhaften Populismus

Wir leben aktuell in einer Aufmerksamkeitsökonomie. Berühmt und bekannt wird, wer mehr Follower und mehr Klicks auf Facebook, Youtube und Twitter generieren kann. Die Algorithmen dahinter verstärken diesen Trend nur. Je mehr Seitenaufrufe, desto prominenter wird man auf Google angezeigt. Zusätzlich erzeugt die Fülle der heutigen Informationen und Daten eine nie gekannte Schnelligkeit. Kaum ist eine Nachricht abgeschickt wird sie auch schon über den Globus verteilt. Und ehe man sich versieht wird sie auch schon durch eine andere Meldung wieder verdrängt. Traditionelle Medien kommen mit dieser Schnelligkeit kaum noch mit. Gerade in der politischen Kommunikation führt das zu einer gravierenden Schieflage. Parteien haben in den letzten Jahren ihre Budgets für Marketing und Kommunikation enorm erhöht. Spin-Doktoren setzen unentwegt über die sozialen Medien Meldungen ab, um die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein Großteil der traditionellen Medien reagiert nur mehr und dient als Verstärker dieser Nachrichten. In der politischen Kommunikation ist es selten geworden, dass Journalisten Themen setzen und die öffentliche Meinung damit beherrschen. Die Pressestellen politischer Parteien bestimmen immer mehr die Berichterstattung und die Inhalte.

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In Zeiten alternativer Medien ist es auch ein Leichtes geworden, selbst zum Verbreiter von Nachrichten zu werden. Parteien brauchen keine Tageszeitungen mehr, um die Aufmerksamkeit auf ihre politischen Botschaften zu lenken, eine Facebook-Seite oder ein Youtube-Kanal sind schnell eingerichtet und genügen, um hunderttausende Menschen zu erreichen.

Rhetorik der Entrüstung und kein Duell der guten Argumente

Politik, die mit Emotion und Empörung nach Aufmerksamkeit hascht und sich gegenseitig mit Warnungen vor dem politischen Gegner ständig überschlägt, ist hingegen wahrlich kein Zeichen von Qualität. Aktuell kann man erleben, dass nur noch mit diffamierenden Begriffen umhergeworfen wird. Das Vokabular der Entrüstung reicht von Hetze, Rassismus, Sexismus, Antisemitismus bis hin zu Links-Linker-Mob und Ökofaschisten. Längst hat ohnehin eine fahrlässige Verwischung all dieser Begrifflichkeiten stattgefunden. Politische Frames, Message-Control und gezielte Provokation bestimmen den politischen Alltag. Verfolgt man aktuelle politische Debatten, dann wird sich scheinbar über alles empört. Was abhandengekommen ist, ist die Kunst sich mit sachlichen Argumenten zu duellieren. Eine gute Argumentation muss valide, also verlässlich sowie logisch und kohärent sein. Dafür braucht es aber Zeit zum Nachdenken und zum Reflektieren politischer Inhalte. Die emotionale Empörung hilft beim Denken eher weniger. Doch der Schlagabtausch mit guten

Argumenten ist in der Politik - bis auf wenige Ausnahmen – eine Seltenheit geworden. Die Qualität der Politik hängt allerdings auch von der Qualität der Kritik ab. Wenn Regierung und Opposition gleichermaßen empörungsgeladen debattieren, dann geht garantiert nicht nur die Diskussionskultur verloren, sondern auch das gute Argument.

Auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg ist ein Beispiel dafür, wie man mit Emotion und Empörung die öffentliche Aufmerksamkeit lenken kann. In diesem Fall für einen guten Zweck. Aber in letzter Zeit verliert auch Sie an Zustimmung.
Auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg ist ein Beispiel dafür, wie man mit Emotion und Empörung die öffentliche Aufmerksamkeit lenken kann. In diesem Fall für einen guten Zweck. Aber in letzter Zeit verliert auch Sie an Zustimmung. - © Hanna Franzen/AFP

Mit Nachdenkpausen gegen die Empörung

Der allgegenwärtigen emotionalen Empörung in der Politik lässt sich letztendlich nur mit einer gewissen emotionalen Zurückhaltung begegnen. Angela Merkel beispielsweise verstand es jahrelang, den Wind aus aufgeladenen Debatten zu nehmen, in dem sie einfach schwieg. Eine Strategie. Dahinter lässt sich zumindest eine Kausalität ableiten. In Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie verstärkt jede Empörung über den politischen Gegner die Wahrnehmung über diesen. Message-Control bedeutet auch, sich nie durch eine Provokation des Gegners verleiten zu lassen, die Kontrolle über die öffentliche Aufmerksamkeit und somit die öffentliche Meinung zu verlieren. Vielleicht ist es das wirkungsvollste Rezept gegen den grassierenden Populismus, nicht jeder Empörung und Emotion gleich Ausdruck zu verleihen, sondern sich eine politische Nachdenkpause zu verordnen. Das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für die Medien. Emotionale Zurückhaltung in der Debatte täte uns als Gesellschaft wieder gut. Auf lange Sicht ist Ablehnung und Empörung ohnehin kein Mittel. Das gute Argument setzt sich früher oder später immer durch. Hoffen wir es zumindest!