Inflation Österreich 2023 : Holger Bonin: „Bei der Arbeitszeit sollte der Staat keine Vorgaben machen“
In einem Gespräch mit Ursula Rischanek gewährt Holger Bonin, der erst seit Juli dieses Jahres die Position des Direktors am IHS innehat, interessante Einblicke in die derzeitige Situation der österreichischen Wirtschaft. Dabei wirft er einen genauen Blick auf Herausforderungen wie die anhaltende Inflation und setzt sich mit kontroversen Themen auseinander, darunter die Diskussion um eine mögliche Arbeitszeitverkürzung. Holger Bonin betont dabei seine Überzeugung, dass staatliche Vorgaben zur Arbeitszeit nicht angebracht seien, und skizziert zugleich potenzielle Handlungsoptionen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Herausforderungen.
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Wirtschaftliches Zwischenfazit 2023: Chancen und die Hürden der hohen Inflation
Wirtschaftsnachrichten: Das erste Halbjahr ist vorbei: Wie geht es Österreichs Wirtschaft, ist sie mit einem blauen Auge davon gekommen?
Holger Bonin: Das kann man so nicht sagen. Die letzten zwei Quartale waren zwar halbwegs in Ordnung, aber wir befinden uns in einer Seitwärtsbewegung, wobei die wirtschaftliche Stagnation auf eine nach wie vor hohe Inflation trifft. Nicht zuletzt herrscht in der Wirtschaft eine große Unsicherheit, wir sollten uns daher von den aktuellen Durchschnittswerten nicht täuschen lassen.
WN: Wie ist das zu verstehen?
HB: Es ist eine Spaltung zu erkennen: Der Dienstleistungssektor wächst, gemeinsam mit dem WIFO gehen wir beispielsweise in Beherbergung und Tourismus von einem Wertschöpfungszuwachs von 3,5 Prozent und im Handel von 1,2 Prozent aus. Gleichzeitig muss die Industrie aufgrund der schwachen Auftragsentwicklung laut WIFO Rückgänge von etwa zwei Prozent bei der Bruttowertschöpfung hinnehmen. Das wirkt sich allmählich am Arbeitsmarkt aus, wie die steigenden Arbeitslosenzahlen zeigen. Gerät der Konjunkturmotor Industrie noch stärker ins Stottern, könnte es wirklich schwierig werden.
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WN: Sind die heimischen Unternehmen für eine weitere schwierige Phase gerüstet?
HB: Unternehmen haben zum Teil in den vergangenen Jahren ein starkes Wachstum verzeichnet und gute Gewinne gemacht, das heißt, bei so manchem sind tatsächlich Reserven da. Dieses Wachstum übersetzt sich jetzt aber auf steigende Löhne und Gehälter, was wiederum die Gewinne schmälert. Abgesehen davon muss die Industrie aber ganz andere längerfristige Umstellungen im Blick haben.
WN: Meinen Sie damit die Energiewende?
HB: Nicht nur. Ich beziehe mich vielmehr auf die Tatsache, dass sich der Handel weltweit umstellt. In China beispielsweise wächst die Wirtschaft schwächer als erwartet, dazu wird der geostrategische Konflikt stärker. Gleichzeitig ist China aber ein wichtiger Wettbewerber, etwa für Autobauer bei der E-Mobilität. Darüber hinaus ist ein gewisser Protektionismus zu spüren, die USA etwa fördern bestimmte Industriezweige massiv. All das geht zu Lasten der europäischen Industrien, die sich dringend neu aufstellen sollten.
WN: Stichwort Wettbewerb: Ein Hemmschuh hierzulande sind die hohen Kosten...
HB: Die Kostenentwicklung ist definitiv wichtig – da spielt die Inflation in Österreich eine wichtige Rolle. Und zwar nicht erst seit dem Vorjahr, sondern schon seit einigen Jahren. Das führt dazu, dass Österreich schleichend an Wettbewerbsfähigkeit verliert.
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Inflationsanalyse Österreichs 2023: Gründe, Maßnahmen und Perspektiven
WN: Weshalb ist die Inflation hierzulande so hoch und sinkt im internationalen Vergleich so langsam?
HB: Grundsätzlich haben wir die Spitze der Inflation überwunden, was zeigt, dass Impulse von außen wie der Energiepreisschock und Lieferkettenprobleme verarbeitet wurden. Dass sie in Österreich langsamer sinkt als anderswo, hat mit den Zweitrundeneffekten, bedingt etwa durch das hohe Ausmaß der Indexierungen an den VPI, und steigende Lohnstückkosten zu tun. Ein anderer Grund für die nach wie vor hohe Inflation ist der hohe Anteil der Gastronomie im Warenkorb - in Deutschland sind es zwei Prozent, hier 15 Prozent. Das spiegelt zwar die wichtige wirtschaftliche Rolle des Tourismus wider, birgt aber ein Risiko: Steigen die Preise zu stark, könnte es zu einer Umlenkung der Touristenströme an andere Destinationen kommen.
WN: Hat die Regierung auf die hohe Inflation richtig reagiert?
HB: Gut war, dass sie nicht stark in die Preise eingegriffen, sondern die Belastungen der Bürger verringert hat. Wobei dies relativ breit gestreut erfolgte. Da die Inflation die verschiedenen Einkommensschichten aber unterschiedlich stark trifft, sollte künftig mehr Augenmerk auf Zielgenauigkeit gelegt werden.
WN: An welchen Stellschrauben sollte gedreht werden, damit die Inflation rascher sinkt?
HB: Ein Grund dafür ist, wie erwähnt, die Koppelung der Löhne und Gehälter an den VPI. Denn die Lohnverhandlungen orientieren sich an der Benya-Formel („Inflation plus gesamtwirtschaftliches Produktivitätswachstum“). Das befeuert aber die Inflation, denn jeder zusätzliche Prozentpunkt beim Lohnabschluss übersetzt sich in den darauffolgenden zwei, drei Jahren in einen halben Prozentpunkt Inflation. Nachdem die Tarifverhandlungen Sache der Sozialpartner sind, hat die Regierung darauf keinen direkten Einfluss. Indirekt aber könnte sie sehr wohl Anreize setzen, dass die Abschlüsse moderater sind.
WN: Inwiefern?
HB: Nach der Abschaffung der kalten Progression muss der Staat den Steuerzahlern 3,65 Milliarden Euro zurückgeben. Ein Drittel davon kann der Finanzminister für weitere steuersenkende Maßnahmen verwenden, etwa zur Entlastung der Mittelschicht. Bleibt den Menschen mehr Netto vom Brutto, muss Letzteres nicht so stark steigen. Das nimmt Druck bei der Inflation heraus.
WN: Wann wird sich die Inflation der von der Europäischen Zentralbank angepeilten Marke von zwei Prozent annähern?
HB: Wir gehen davon aus, dass dies 2027 der Fall sein wird, aber natürlich sind in dieser Prognose Unwägbarkeiten drin.
WN: Und wann wird sich die Konjunktur erholen?
HB: Es gibt Hoffnung, dass sie gegen Ende des Jahres wieder ins Positive dreht.
WN: Ein heißes Eisen in den vergangenen Wochen und Monaten war die Arbeitszeitverkürzung. Wie stehen Sie dazu?
HB: Das ist ein Thema, bei dem der Staat keine Vorgaben machen sollte, das sollten die Sozialpartner aushandeln. Auch deshalb, weil die Voraussetzungen in den unterschiedlichen Branchen verschieden sind. Es gibt solche, in denen man die Arbeitszeit reduzieren kann, ohne dass es zu Lasten der Produktivität geht und solche, wie beispielsweise die Pflege, in denen das nicht möglich ist. Die Studien, die es zu diesem Thema gibt, sind mit großer Vorsicht zu betrachten: Meist wurden sie bei Unternehmen gemacht, die die Arbeitszeitverkürzung freiwillig angeboten und oft dafür die Organisation verändert haben. Was dabei nicht hinterfragt wurde, ist, ob nicht diese Veränderung in den Organisationsstrukturen die Produktivität gesteigert hat. Und noch etwas sollte man in diesem Zusammenhang bedenken: Meine große Sorge ist, dass Menschen, die nicht so leistungsfähig sind, unter die Räder kommen, wenn sie die gleiche oder sogar mehr Leistung in einer kürzeren Zeit erbringen sollen.
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