Nationalratswahl 2024 : Fünf gute Jahre?
Erstmals in der Geschichte Österreichs ist das dritte Lager an erster Stelle. Das Ergebnis der Nationalratswahl lässt eine schwierige Regierungsfindung erwarten. Eine tragbare Koalitionsvariante für eine neue Regierung wird es wohl erst 2025 geben, wenn überhaupt. Doch es wird relativ rasch einen Konsens der Parteien brauchen, die Wettbewerbsfähigkeit des Standort Österreichs in den Mittelpunkt zu stellen, denn das Land steckt laut WIFO-Ökonom Gabriel Felbermayr noch immer in der längsten Rezession seit 1945. Die letzten Prognosen ließen auch für 2025 keine Besserung erwarten. Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) erwartet in ihrer September-Interimsprognose für Österreich im Jahr 2024 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,7 Prozent. Damit verzeichnet die österreichische Wirtschaft zwei Rezessionsjahre in Folge. Auch für 2025 revidiert die Nationalbank das erwartete Wirtschaftswachstum auf 1,0 Prozent deutlich nach unten. Dieses wirtschaftliche Substrat in Kombination mit einem Corona-Revanchismus hat u.a. den Ausschlag gegeben. Objektiv gibt es nur einen Wahlsieger, die FPÖ von Herbert Kickl, und viele Wahlverlierer. Trotz dessen, dass die Zeit für die Wirtschaft auf Reformen drängt, müssen die anderen Parteien das Ergebnis nun gut analysieren. War es wirklich eine Wahl „für“ Kickl oder war es eine Wahl „gegen“ das System, wie dieser so oft im Wahlkampf betonte. Letzteres würde bedeuten, dass ÖVP, Grüne und auch die SPÖ die letzten fünf Jahre intern aufarbeiten müssen, um zu sehen, wo die Bruchstellen im System waren.
ÖVP: Mächtiger Verlierer
Die Volkspartei unter Kanzler Karl Nehammer hat im Finish der Wahl respektabel aufgeholt. Der Kurs, Leistungsträger und vor allem die gesellschaftliche Mitte anzusprechen, hat gewirkt. Trotz dessen, dass die ÖVP gemessen am Stimmenverlust der größte Verlierer der Wahl ist, bleibt sie fest im Sattel. Es wird keine Regierung ohne die Volkspartei geben und Nehammer hat die bequeme Situation, sich seine Partner aussuchen zu können. Die FPÖ unter Kickl hat er zwar ausgeschlossen, dennoch wäre eine Koalition zwischen den beiden Parteien die beliebteste im Land. Kickl und Nehammer werden daher nicht umhinkommen, auch Gespräche zu führen.
Die ÖVP hat aber den Vorteil, dass sie mit einer willigen SPÖ und auch mit den NEOS, die sich trotz des minimalen Zuwachses als Wahlsieger glauben, einen Plan B hat, der relativ rasch umgesetzt werden könnte. Doch was muss die ÖVP aus dieser Wahl lernen? Man wird wieder eine Politik für die Mittelschicht und die Leistungsträger im Land machen müssen. Und zwar veritabel und nicht nur kosmetisch. Die ÖVP muss auch Bürgerrechte wieder stärken und nicht wie zu Corona-Zeiten stark einschränken. Auch die Neutralität wird sie in den Mittelpunkt stellen müssen. Ansonsten wird der Vorsprung der FPÖ bei der nächsten Wahl noch deutlicher werden.
Der Kurs, Leistungsträger und vor allem die gesellschaftliche Mitte anzusprechen, hat gewirkt
SPÖ: Utopie im Elfenbeinturm
Die SPÖ unter Andreas Babler ist im Elfenbeinturm geblieben. Der Linksschwenk hat nicht gezogen. Das Gerede um neue Steuern war das falsche Rezept zum falschen Zeitpunkt. Und auch sonst konnte Babler wenig überzeugen. Dennoch bleibt ein Achtungserfolg in einigen Städten zurück. Die SPÖ konnte etwa Graz für sich entscheiden und vor allem Stimmen von den Grünen abwerben. Doch im zersplitterten linken Lager mit lauter Kleinparteien, die sich links gegenseitig im Kreis überholen, war dann doch nicht mehr drinnen. Hier wird man vermutlich einmal Gespräche führen müssen, ob es Sinn macht, dass KPÖ und Co. bei einer Nationalratswahl noch antreten, oder ob es pragmatischer wäre, sich im Sinne eines linken Wahlbündnisses hinter einer SPÖ zu vereinen.
Doch was muss die SPÖ aus der Wahl lernen: Noch mehr Steuern (für Reiche) zu fordern zieht nicht. Die Bevölkerung hat den Braten gerochen. Utopische Ziele wie 32-Stunden-Woche kostet die Arbeiter im Land höchstens ein müdes Lächeln, ringt ihnen aber kein Kreuzerl für die SPÖ bei der Wahl ab und beim Thema Zuwanderung muss die SPÖ eine Kehrtwende vollziehen. Die Sozialdemokratie muss in sich gehen und sich fragen, ob sie den Begriff „Gerechtigkeit“ noch zeitgemäß versteht.
Das Gerede um neue Steuern war das falsche Rezept zum falschen Zeitpunkt.
Grüne Wende zu Ende?
Schon jetzt kann man attestieren, dass im Grunde eine politische Bewegung zu den klaren Verlierern dieser Wahl gehört: die Grünen. Das hat sich bereits in den Umfragen abgezeichnet. Die Vorzeichen mit mehreren Kleinparteien am linken Spektrum waren schlecht und Klimaschutz und Co. stand diesmal weit unten in der Prioritätenliste der Wählerinnen und Wähler. Ganz anders als noch 2019, wo die Grünen mit starkem Rückenwind aus der Fridays for Future Bewegung wieder gestärkt ins Parlament einzogen.
Die Grünen stehen als Partei nun selbst vor einer Wende, wie auch der Blick auf die Schwesterpartei in Deutschland zeigt. Grüne Politik hat auch in Österreich die Regierungskoalition der letzten fünf Jahre geprägt – vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Hier ist durchaus viel gelungen, vor allem im Bereich der Energiewende. Vieles, wie etwa das Klimaticket wird wohl von den anderen Parteien vereinnahmt werden und seinen Fortbestand finden. Anderes, wie etwa die NoVA-Erhöhung oder die CO2-Besteuerung steht auf der Kippe. Die Energiewirtschaft pocht jedenfalls auf eine Fortführung des Kurses bei der Energiewende. Die Branche verlangt zurecht Planungssicherheit für ihre getätigten Investitionen.
Die Grünen sind für ihre Regierungsbeteiligung abgestraft worden und haben rund 40 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler verloren. Dramatisch ist das Ergebnis in den Städten. In Graz und Wien hat man hochkant verloren. Grüne Hochburgen, wie der Bezirk Neubau in Wien, hat man an die SPÖ abtreten müssen.
Hauptgrund für diese Niederlage ist die Zustimmung zur Impfpflicht. Und auch eine paternalistische Klimapolitik. Eine Partei, die „Selbstbestimmung“ prominent im Grundsatzprogramm stehen hat, kann mit einer Politik der Bevormundung nicht reüssieren.
Die Grünen werden Versöhnungsarbeit in ihrem Lager betreiben müssen. Es stehen umfangreiche Reformen in der Partei an und es wird personelle Konsequenzen geben müssen. Laut Wählerstromanalyse ist die Partei wieder in alle Richtungen ausgeronnen. Am meisten verlor man an die SPÖ, ÖVP und NEOS, aber auch erkennbar an die KPÖ. Neben taktischem Wahlverhalten wird hier auch die Klimapolitik abgestraft, die viele nicht als sozial treffsicher empfanden.
Hauptgrund für diese Niederlage ist die Zustimmung zur Impfpflicht
NEOS: Aufstieg der Liberalen
Bemerkenswert ist auch das Ergebnis von NEOS. Es ist das beste Ergebnis für eine liberale Wirtschaftspartei seit 1945. Auch das ist Ausdruck eines gesteigerten Wählerinteresses an ökonomischen Zusammenhängen. Liberale Politik war traditionell in Österreich innerhalb der FPÖ verankert. Doch diese hat spätestens mit dem Aufstieg Jörg Haiders einen starken Rechtsschwenk erlebt und nicht zuletzt mehrere als wirtschaftsliberal zu bezeichnende Abspaltungen erlebt. Die erste davon war das Liberale Forum (LIF), das sich 1993 aus fünf abtrünnigen FPÖ-Parlamentariern unter der Federführung von Heide Schmidt gründete. Das LIF war allerdings nur bis 1999 im Nationalrat vertreten und flog dann wieder raus. 2012 fusionierte das LIF mit der neu gegründeten Partei NEOS, weshalb diese heute in der liberalen Tradition stehen.
Dass die Partei regierungsreif ist, beweist sie gerade in Wien. Wirtschaftsliberale Inhalte sind neuerdings koalitions- und mehrheitsfähig in Österreich. Ein Spannungsfeld wird aber die Haltung der NEOS zur Neutralität werden. Alle anderen Parteien, allen voran die ÖVP, wollen an dieser festhalten. Es bleibt daher abzuwarten, ob nach der Grünen Wende nun eine liberale Wende in Österreich folgt.
Folgt nach der grünen Wende eine liberale Wende?