Grüne Energie : Klimaneutralität neu denken – mit Technologieoffenheit
Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral sein, Österreich bereits bis 2040. Dafür müssen fossile Energieträger durch klimaneutrale Alternativen wie Ökostrom ersetzt werden, denn unser Energiesystem ist für rund 80 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgase verantwortlich.
Green Liquids werden dabei eine ganz wesentliche Rolle spielen, denn sie ermöglichen den interkontinentalen Transfer großer Ökostrommengen über weite Distanzen.
Ökostrom wird sensible Ressource
„Grüner Strom“ wird zum Fundament der nachhaltigen Transformation. Ohne Ökostrom können weder die industrielle Produktion noch der Verkehr oder ein anderer Bereich unseres täglichen Lebens klimaneutral gestaltet werden. Aber Ökostrom ist in unseren Regionen nicht in unbegrenzter Menge vorhanden.
Wie groß die Versorgungslücke in Zukunft sein könnte, hat die BOKU gemeinsam mit der AEA und dem IIASA im Rahmen des Projekts „NetZero2040“ anhand von vier Szenarien untersucht. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass der Ausbau vor allem von Windkraft um 60 Prozent schneller als im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) vorgesehen erfolgen muss.
Das ernüchternde Fazit der Studienautoren: Schreibt man die aktuelle Entwicklung fort, kann Österreich den notwendigen Ausbau von Sonnenenergie erreichen, der Ausbau der Windkraft bleibt jedoch weit hinter der erforderlichen Geschwindigkeit zurück.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Otto Kalab in seiner Ökostrom-Studie. Demnach gibt es vor allem in den Wintermonaten große Erzeugungslücken von bis zu 70 Prozent des Strombedarfes, die durch Speicherkraftwerke, Gaskraftwerke oder Stromimporte abgedeckt werden müssen. Kommen bis 2030 weitere Verbraucher, etwa zur Dekarbonisierung der Industrie, des Verkehrs oder neue Wärmepumpen in Privathaushalten hinzu, wird die Lücke noch größer.
In der Industrie rechnet man bis 2030 mit einem Mehrbedarf von etwa 25,5 TWh pro Jahr. Für die Mobilitätswende sind zum heutigen Stand bis 2040 jährlich rund 30 TWh an zusätzlichem Ökostrom notwendig.
eFuels sind gespeicherter Ökostrom. Er fällt in rauen Mengen in Patagonien und in Wüsten an, wo er nicht verbraucht wird und es nicht einmal Netze gibt.Jürgen Roth
Elektrifizierung und Nachfrageseitige Einsparpotenziale
In der BOKU-Studie sieht man vor allem bei nachfrageseitigen Maßnahmen einen Hebel, um die Klimaziele doch noch zu erreichen. Laut Martin Baumann von der Österreichischen Energieagentur würde der Austausch fossil betriebener Fahrzeuge und Heizungen den Energieverbrauch drastisch senken.
Kalab sieht die Einsparungs-Szenarien der BOKU-Studie als wenig realistisch an und warnt vor einer drohenden Ökostromknappheit: „Der massive Ausbau der Erneuerbaren samt Netz- und Speicherinfrastruktur ist kostenintensiv und stößt auf gesellschaftliche sowie politische Widerstände. Die Kosten für den „gesicherten“ Strombezug könnten deutlich ansteigen.
Synthetische Energieträger als Gamechanger
In der BOKU-Studie setzt man daher auf eine breite Zustimmung aus der Bevölkerung als treibende Kraft für die Energiewende: „Für diese enorme Transformationsaufgabe sind drei Aspekte zentral: die gesellschaftliche Akzeptanz für den Ausbau von Energieinfrastruktur, die ‚klimafreundliche‘ Ausrichtung von Lebensstilen und die sofortige Umsetzung ambitionierter politischer Klimaschutzmaßnahmen“, so Projektmitarbeiter Michael Klingler.
Geht es um die Akzeptanz in der Bevölkerung ist vor allem die Leistbarkeit ein zentrales Thema, das Alois Schroll, Energiesprecher der SPÖ, offen anspricht: „Klimaschutz ist sozial gerecht zu gestalten. Niemand darf zurückgelassen werden. Das gilt auch und erst recht für alle Fragen, die die Mobilität der Menschen betreffen.“
Für Jürgen Roth, Vorstandsvorsitzender der eFuel Alliance Österreich liegt die Lösung auf der Hand: Grüne Kraftstoffe könnten das Problem rasch lösen. „eFuels sind gespeicherter Ökostrom. Er fällt in rauen Mengen in Patagonien und in Wüsten an, wo er nicht verbraucht wird und es nicht einmal Netze gibt.“ Für Europa sei es daher die billigste Art, die drohende Versorgungslücke durch erneuerbare Energieträger aus diesen Ländern zu schließen. „Bauen wir Wind- und Sonnenkraftwerke dort, wo sie die doppelte und dreifache Menge Ökostrom erzeugen, dann kostet Ökostrom und die Wasserstofferzeugung in der Elektrolyse nur einen Bruchteil im Vergleich zu mittelmäßigen Standorten in Mitteleuropa, die nur wenige Volllaststunden schaffen und bei Dunkelflaute komplett ausfallen.“
Auch namhafte internationale Experten sehen klimaneutrale Kraftstoffe, die aus grünem Wasserstoff, Ökostrom und CO2 hergestellt werden, als globale Gamechanger der Klimawende. Stephan Schwarzer, Geschäftsführer der eFuel Alliance: „Synthetische Energieträger lösen mehrere Probleme auf verschiedenen Ebenen: Sie sind das perfekte Speichermedium, um grüne Energie nach Europa und nach Österreich zu bringen. Sie sorgen dafür, dass der Individualverkehr rasch klimaneutral wird, indem auch Bestandsfahrzeuge mit Verbrennungsmotor klimaneutral betrieben werden können. Sie reduzieren die Abhängigkeit von Atomstrom-produzierenden Nachbarländern, da eFuels an zahlreichen Standorten weltweit produziert und problemlos über weite Strecken transportiert werden können. Sie sind kostenschonend, da bestehende Infrastruktur auch in Zukunft weiterverwendet werden kann. Damit tragen sie auch wesentlich dazu bei, dass Energie und Mobilität für alle leistbar bleiben.“
Aus Brüssel kam zuletzt ein positives Signal in Richtung eFuels, als die Produktion der nachhaltigen Energieträger in die Liste der „Zero-Emission-Industries“ aufgenommen wurde.
Schwarzer sieht in der eFuels-Technologie auch einen globalen Mehrwert: „Der Klimaschutz profitiert zweifach: Erstens erhöht sich die Versorgungssicherheit in Europa, das in Zukunft noch stärker von Energieimporten abhängigen sein wird als heute. Zweitens wird das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen dem Norden und dem Süden verringert, da der Süden den Norden nachhaltig mit grüner Energie versorgen kann. Wenn wir das Klima retten wollen, müssen wir auf alle verfügbaren Lösungen zurückgreifen. Der ausschließliche Fokus auf die E-Mobilität schadet der Umwelt, weil technologische Fortschritte gebremst werden, die uns bei der Reduktion der CO2-Emissionen Rückenwind geben würden.“