Inflation Österreich 2024 : Die Leitzinssenkung, oder: Der Sturm im Wasserglas
Die vom EZB-Rat mit Wirkung zum 12. Juni beschlossene Senkung des Leitzinses um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent war seit längerem erwartet worden. Denn sie war von Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank und Vorsitzenden des EZB-Rats, bereits vor Monaten in Aussicht gestellt worden war.
Schließlich war es die erste Zinssenkung seit 2016. Auffällig ist, dass sie diesmal vor der US-Notenbank erfolgte. Diese hatte bei ihrer letzten Sitzung im Juni nicht an der Zinsschraube gedreht. Der Leitzins verharrt damit auf einem Niveau zwischen 5,25 und 5,50 Prozent.
Ein Eingriff ist wohl erst im Herbst zu erwarten, nicht zuletzt, weil zum einen die US-Wirtschaft im Gegensatz zum europäischen Binnenmarkt brummt und zum anderen im November die Wahl des nächsten US-Präsidenten ansteht.
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„Der EZB-Rat legt sich nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest.”
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, hier vor dem Plenum des Europäischen Parlaments.
Zwischen Inflationsbekämpfung und Wachstumsimpulsen
Die erste Leitzinssenkung seit 2016 soll die Wirtschaft ankurbeln und die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen erhöhen. Neben diesen erhofften Effekten befürchten Experten aber auch steigende Preise, wenn Unternehmen höhere Kosten an die Verbraucher weitergeben.
Auch wird bezweifelt, ob die Zinssenkung einen günstigen Einfluss auf den Immobilienmarkt haben kann, indem sie die Erschwinglichkeit von Immobilien begünstigt. Uneinig sind sich Ökonomen und Finanzexperten auch über die Entwicklung der Inflation.
So resümiert Moritz Schularik, Präsident des renommierten Kieler Instituts für Weltwirtschaft, die jüngste Zinssenkung positiv: „Die Zinswende stellt die Weichen für die konjunkturelle Erholung der deutschen Wirtschaft. Konsumenten, Unternehmen und insbesondere die Bauwirtschaft werden von den verbesserten Finanzierungsbedingungen profitieren.“
Stefan Bruckbauer, Chefvolkswirt der Bank Austria, hält dagegen, dass dies alles mit viel Unsicherheit verbunden sei, und Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, plädiert jedenfalls für ein vorsichtiges Herantasten an mögliche weitere Zinssenkungen.
Die erste Senkung des Leitzinssatzes seit 2016 soll die Wirtschaft beflügeln und die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ankurbeln.
Zum Nein der Oesterreichischen Nationalbank
Aus österreichischer Sicht ist die Entscheidung insofern interessant, als sich Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann als einziges EZB-Ratsmitglied gegen die Zinssenkung ausgesprochen hatte.
Entsprechend süffisant reagierte Madame la Présidente Christine Lagarde bei der Pressekonferenz: Die Entscheidung sei „fast einstimmig“ gefallen. Lächelnd und mit hochgezogenen Augenbrauen fügte sie hinzu: „Bis auf einen Gouverneur“.
Robert Holzmann wollte nach eigenen Worten „ein Zeichen setzen“. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen sagte er, der Kampf gegen die Inflation sei noch nicht gewonnen, der Zeitpunkt der Zinssenkung daher zu früh. Er hoffe, dass in Zukunft wieder auf Basis der neuesten verfügbaren Daten entschieden werde.
Seine Kollegen im EZB-Rat hätten sich diesmal wohl eher dem Druck der Finanzmärkte gebeugt, ließ er zwischen den Zeilen durchblicken. Holzmann musste sich deshalb von Ex-Bundeskanzler Christian Kern „ideologische Verblendung“ vorwerfen lassen.
Relativierend fügte der demnächst in den Ruhestand tretende Gouverneur jedoch hinzu, es bestehe noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die EZB die Zinsen in diesem Jahr überhaupt nicht mehr senken werde. Später schlug er vor, diesen Schritt jedenfalls erst nach der US-Notenbank zu setzen.
Finanzminister Magnus Brunner, ÖVP, betonte im Zusammenhang mit der Zinssenkung, dass die Gefahr bestehe, dass sinkende Zinsen die Teuerung wieder anheizen, weshalb die EZB sehr vorsichtig vorgehen müsse. „Insgesamt ist es für die Wirtschaft nicht schlecht, wenn die Zinsen nach unten gehen, aber die EZB muss in dieser Frage sensibel vorgehen“, so Brunner auf Nachfrage.
Kernproblem Inflation
Die EU-weit hohe Inflation im Gefolge der sehr großzügigen Verteilungspolitik der letzten Jahre sowie die unverantwortlich hohen Lohnzuwächse haben eine Abkühlung der Inflation in Österreich länger hinausgezögert als in anderen Mitgliedstaaten. Vor dem Hintergrund dieser Inflationsdynamik erscheinen die abweichende Meinung von Holzmann und die sehr vorsichtige Einschätzung von Brunner in einem etwas anderen Licht.
Die Kerninflation ist nach wie vor sehr hartnäckig. Aktuell liegen die Verbraucherpreise um 3,5 Prozent über dem Niveau von April 2023 (März: 4,1 Prozent). Das ist der niedrigste Wert seit September 2021. Ausschlaggebend dafür waren laut Statistik Austria die Preise für Gas und Pauschalreisen. Von März 2024 auf April 2024 stieg das durchschnittliche Preisniveau um 0,1 Prozent. „Hauptpreistreiber waren teurere Flugtickets (durchschnittlich +14,8 Prozent, 0,08 Prozentpunkte).“
Infokasten
Die Sparzinsen sind schon vor der EZB-Entscheidung gesunken, weil der Zinsmarkt die Entwicklung vorweggenommen hat. Beim Tages- und Festgeld hat sich die Leitzinssenkung ganz unmittelbar ausgewirkt und der Einlagezins wird von 4,0 auf 3,75 Prozent gesenkt. Wenn die Banken fair arbeiten, sinken die Zinsen für Konsumkredite, da der Einkauf des Finanzierungsgeldes billiger wird. Auf die Leistbarkeit von Immokrediten wirkt sich die Zinssenkung allerdings nur minimal aus.