Kommentar der Chefredaktion : Krise, Krieg, Kontrollverlust

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Die Qualität der Politik hängt maßgeblich von der Kritik an der Politik ab. Was nicht kritisiert, bemängelt und aufgezeigt wird, bleibt unverändert. Angesichts der dramatischen Lage der europäischen Wirtschaft ist es an der Zeit und angebracht, deutliche Worte gegen Brüssel zu richten: Man muss der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen inzwischen fast schon wirtschaftsfeindliches Agieren attestieren. Anders ist die dialektische Inkohärenz ihrer Aussagen nicht mehr auszulegen. Der EU-Rechnungshof hat ihr politisches Hauptwerk der letzten fünf Jahre, den Green-Deal, zerpflückt. Zu wenig, zu ineffizient, keine Strategie. Das Aus für Verbrennungsmotoren ab 2035 sei fraglich. Es fehle ein klarer Fahrplan. Mit Lieferkettengesetz, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Renaturierungsverordnung und vielem mehr hat die EU in den letzten fünf Jahren die Bürokratie auf die Spitze des Olymps getrieben. Das macht keine Wirtschaftszone der Welt so, wie die EU. Und wir wundern uns, warum Investitionen in Milliardenhöhe abfließen.

Was nicht kritisiert, bemängelt und aufgezeigt wird, bleibt unverändert.
Stefan Rothbart, Chefredaktion Wirtschaftsnachrichten

Dabei ist gar nicht die Intention dieser Gesetze zu kritisieren: ganz im Gegenteil. Die Wirtschaft braucht den Anstoß zu Nachhaltigkeit und Co, denn auch sie ist ansonsten ein unbewegliches Vehikel. Nur sollte gute Politik die Zusammenhänge und die Kausalität ihres Handelns verstehen.
Die Auswirkung dieser Politik ist nun in der Automobilindustrie sichtbar. Was bei VW in Deutschland aktuell geschieht, ist beispiellos. Zynisch könnte man ein Wortspiel daraus machen: VW = Verspielter Wohlstand. Denn genau das ist es, was europäische Regulatorik hier angerichtet hat. Konsumenten und Produzenten sind vollends verwirrt. Was wir jetzt sehen, ist das Resultat einer unausgegorenen De-Growth-Politik von Brüssel bis Berlin, die jetzt vor den Scherben ihrer negierten Realität steht.

Und immer noch gibt es die Oberschlauen, die daherkommen und im Konkurrenzverlust der europäischen Automobilbranche gegenüber China ein Managementversagen oder gar eine Krise des Kapitalismus sehen. VW und Co. hätten schlicht zu spät in E-Mobilität investiert und die Trends verschlafen. It’s the Politics, Stupid!

Jetzt macht Ursula von der Leyen eine rhetorische Kehrtwende und fordert weniger Bürokratie, um den Standort Europa zu stärken. Diese Einsicht kommt spät. Wie hat es der Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking ausgedrückt: „Wir strangulieren den wichtigsten Wirtschaftsfaktor, den Europa hat“. Doch Ursula von der Leyen sorgte sich zuletzt mehr darum, ob in ihrer zukünftigen Kommission wohl eh gleich viele Frauen wie Männer sitzen würden.

Das macht keine Wirtschaftszone der Welt so, wie die EU. Und wir wundern uns, warum Investitionen in Milliardenhöhe abfließen.
Stefan Rothbart, Chefredaktion Wirtschaftsnachrichten

Europas Probleme sind hausgemacht

Auch der Krieg in der Ukraine tut sein Übriges zur Europas Wirtschaftsmisere. Doch die Behauptung, dass es etwa der deutschen Wirtschaft u.a wegen des Krieges schlecht gehe, sei laut der deutschen Innenministerin Nancy Faeser neuerdings eine Desinformation. Die größeren geopolitischen Zusammenhänge des Konflikts, etwa die Entstehung eines Russisch-Chinesisch-Indischen Rohstoff-und Produktionsmarktes, der Aufstieg der BRICS und der gleichsame Abfluss von Kapital in sichere Häfen, vorzüglich in die USA, bleiben wohl nicht nur ihr ein Mysterium. Auf der geopolitischen Ebene gibt es ganz klare Zusammenhänge zwischen ökonomischen Krisen und militärischen Konflikten in Europas Nachbarschaft. Auch das neue EU-Parlament hat in seiner ersten Sitzung eine Resolution verabschiedet, die die EU-Mitgliedsstaaten auffordert, jährlich 0,25 Prozent ihres BIPs (Etwa 120 Milliarden Euro jährlich) für militärische Unterstützung der Ukraine aufzuwenden. Darin wird auch explizit uneingeschränkte militärische Unterstützung für die Ukraine und keine diplomatischen Initiativen gefordert. Was das Wörtchen „uneingeschränkt“ für ein neutrales Mitgliedsland wie Österreich bedeutet, hätte ich gerne von unseren EU-Abgeordneten erläutert. Wie in der Ökonomie fehlt es Europa auch in der Geopolitik an Stringenz. Denn wie heißt es so schon: „Wenn du glaubst, alles läuft nicht nach Plan, frage dich, ob du den Plan kennst“. An dieser Stelle sei der Krone-Kolumnisten Klaus Woltron zitiert: „Der EU droht ein Kontrollverlust über ihr Schicksal“. Um diesen Kontrollverlust vorzubeugen, darf man nicht mut- und mundlos bleiben. Die Politik muss mit den Kausalitäten ihres Tuns stärker konfrontiert werden.

Denn die gute Nachricht zum Schluss: Europas wirtschaftliche Misere ist weitgehend hausgemacht und kann durch kluge und vorausschauende Politik wieder ins Lot gebracht werden, meint wohlwollend


Ihr

Stefan Rothbart
Chefredakteur