Regierungsbildung : "Koalition der Verlierer" - Was gegen eine Regierung aus ÖVP, SPÖ, NEOS oder GRÜNE spricht
Der Besonderheit dieses Wahlergebnisses hat Bundespräsident Alexander van der Bellen bereits Rechnung getragen, indem er keinen Auftrag zur Regierungsbildung erteilt, sondern die Vorsitzenden der drei stimmenstärksten Parteien dazu aufgefordert hat, das Gespräch zu suchen um eine mögliche gemeinsame Basis für Gespräche auszuloten. Denn die Zeit drängt. Eine angespannte budgetäre Lage, die anhaltende Rezession und dringend notwendige Reformen sollten Grund genug sein, bald eine tragfähige Mehrheit zu finden, um eine handlungsfähige Regierung auf die Beine stellen zu können.
Beliebte Koalitionsvariante?
Bereits kurz nach der Wahl wurde dabei eine Dreierkoalition von ÖVP, SPÖ und NEOS von vielen Beobachtern favorisiert. Ende letzter Woche wurde eine Umfrage des Gallup-Instituts präsentiert, in der eine Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS auf 26 Prozent Zustimmung kommt, der höchste Wert dieser Umfrage. Knapp dahinter folgt die Koalitionsvariante von FPÖ und ÖVP mit 24 Prozent. Eine Dreierkoalition mit Beteiligung der Grünen kommt auf 14 Prozent Zustimmung, eine „Große Koalition“ aus ÖVP und SPÖ nur auf 5 Prozent. Doch wie wahrscheinlich ist eine Koalition aus drei Parteien nach den im Wahlkampf präsentierten Positionen? Ein Koalitionspartner der nächsten Regierung wird, so keine große Überraschung mehr passiert, die ÖVP sein. Denn zur Erinnerung, die ÖVP schließt eine Koalition mit der FPÖ unter der Führung von Herbert Kickl aus. Die FPÖ wiederum schließt jegliche Zusammenarbeit ohne Parteichef Kickl aus. Die SPÖ wiederum hat eine Koalition mit der FPÖ im Vorfeld bereits ausgeschlossen, was die möglichen und realistischen Koalitionsvarianten auf vier beschränkt. Bleiben die Parteien beim bisher Gesagten, wird die ÖVP auch den Anspruch auf den Bundeskanzler erheben und diesen mit Karl Nehammer stellen. Denn trotz des herben Stimmenverlustes sitzt dieser innerparteilich fest im Sattel. Bereits während des Wahlkampfes legte die ÖVP ihre Koalitionsbedingungen fest. Diese umfassen unter anderem keine neuen oder höheren Steuern, einen Vollzeitbonus in Höhe von 1000 Euro und die Messengerüberwachung.
Regierungsfähige SPÖ?
Das größte Fragezeichen steht aktuell hinter der SPÖ. Spitzenkandidat Andreas Babler ging sowohl mit der Forderung einer 32-Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich wie auch einer „Millionärssteuer“ in die Nationalratswahl. Ebenso soll das Pensionssystem nicht angetastet werden. Sollte die SPÖ eine dieser Vorstöße zur Bedingung für eine Koalition erklären, wird ein Konsens weder mit der ÖVP noch mit NEOS zu schaffen sein. Eine Koalition wäre damit von Anfang an vom Tisch. Doch auch wenn Parteichef Babler mit seinem Programm und den Inhalten beim Wähler nur mäßig punkten konnte, werden diejenigen, die ihm ihre Stimme gegeben haben, zumindest eine teilweise Umsetzung seines Programms erwarten. Um Teil der nächsten Bundesregierung sein zu können, wird die SPÖ von diesen Maximalforderungen abrücken müssen, was in einen Drahtseilakt münden dürfte. Vielen in der SPÖ ist Bablers Kurs zu links, anderen wiederum zu wenig, wie der Fall rund um die Sozialistische Jugend Vorarlberg zeigt. Diese gab vor der Nationalratswahl eine Wahlempfehlung für die KPÖ ab, kappte danach alle Verbindungen zur SPÖ und möchte nun der Revolutionären Kommunistischen Partei (RKP), welche Anfang November gegründet werden soll, beitreten. Nebenbei stellt sich nach dem Vorstoß von Rudolf Fußi indirekt auch die Führungsfrage in der SPÖ. Die neuen Parteistatuten, welche unter Parteichef Babler implementiert wurden, geben Fußi für das Sammeln der notwendigen knapp 14.000 Unterschriften für eine Direktwahl gegen Babler bis Jahresende Zeit. Im Umkehrschluss heißt das, dass bis zum Ablaufen der Frist die Führungsfrage in der SPÖ offenbleibt, auch wenn es einen gewählten Vorsitzenden gibt. Inwieweit sich das auf Sondierungs- oder Koalitionsverhandlungen auswirken wird, kann man zum jetzigen Zeitpunkt nur erahnen. Dass die internen Querelen der SPÖ ohne Folgen bleiben, darf aber bezweifelt werden. Ein Machtkampf innerhalb der SPÖ um den Vorsitz der Partei dürfte die Zweifel an deren Regierungsfähigkeit weiter nähren.
Wer ist der Dritte?
Sollten ÖVP und SPÖ einen Konsens finden, werden sie einen weiteren Partner brauchen, um ihre Mehrheit abzusichern. Eine „große Koalition“ ist zwar rechnerisch möglich, wahrscheinlicher und im politischen Alltag praktikabler ist aber eine Variante mit einem dritten Partner und einer damit komfortableren Mehrheit. Hier kommen NEOS und die Grünen in Frage.Die NEOS waren neben der FPÖ die Partei, die bei der Wahl einen Stimmenzuwachs verzeichnen konnte, allerdings nur einen sehr geringen. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger verlautbarte schon am Wahlabend, mitregieren zu wollen und für Verhandlungen bereitzustehen, aber nicht ohne Reformen. Die sind nach dem größeren Defizit im Staatshaushalt über den Maastricht-Kriterien das Gebot der Stunde und der Wille zu Reformen Teil der DNA von Neos. Ohne ein Bekenntnis zu klaren Reformen und einer Sanierung des Budgets wird es wohl zu keiner Einigung mit Neos kommen. Weiters hat sich Parteichefin Meinl-Reisinger dezidiert gegen neue Steuern, zugleich aber für eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote oder der Lohnnebenkosten ausgesprochen. Die Finanzierung dieser Forderungen soll alleine durch Einsparungen realisiert werden. Zudem sind die Neos auch Kritiker der Arbeiter- und Wirtschaftskammer und wären damit mit jenen Parteien in einer Koalition, die für diese Institutionen stehen. Somit birgt auch diese Koalitionsvariante ordentlich Gesprächsbedarf, sowohl mit der ÖVP als auch der SPÖ. Das Programm der NEOS ist darauf ausgerichtet 20 Milliarden im System einzusparen. Das wird weder bei der ÖVP noch bei der SPÖ auf Anklang stoßen. Zudem positioniert sich NEOS nicht klar zur Neutralität. Auch das dürfte Gesprächsstoff in Koalitionsverhandlungen geben.
Grüne wieder Teil der Koalition?
Eine weitere Möglichkeit für eine Dreierkoalition würde eine Zusammenarbeit mit den Grünen ermöglichen. Deren Gewicht liegt weiterhin auf dem Klima- und Umweltschutz, aber auch dem Bodenschutz. Das birgt sowohl mit der ÖVP als auch der SPÖ Konfliktpotential. Hinzu kommt, dass beide Parteien auf verschiedenen Ebenen keine gute Erinnerung an die Zusammenarbeit mit den Grünen haben. Bei der ÖVP ist der Koalitionskrach rund um die Zustimmung zum Renaturierungsgesetz durch Klimaministerin Leonore Gewessler noch präsent, ebenso wie die Blockadehaltung der Grünen rund um den Bau der S18 in Vorarlberg. Zudem hat der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler seine Zustimmung zu einer Koalition an die für die Region „unverzichtbare“ Infrastrukturprojekte geknüpft. Das betrifft in erster Linie den dreispurigen Ausbau der A9 im Süden von Graz, aber auch einen Halt der Koralmbahn am Flughafen Graz. Wegen eines Straßenbauprojekts, jenem des Lobautunnels, sind auch gewichtige Teile der SPÖ, allen voran aus Wien, nicht gut auf die Grünen zu sprechen. Wie eine Zusammenarbeit dieser drei Parteien aussehen könnte, wurde rund um den geplanten Beschluss des Erneuerbare Gase Gesetzes (EGG) sichtbar, als eine Einigung kurz vor der Wahl in letzter Minute scheiterte. Die Schuld dafür wurde von der Koalition und der SPÖ beim jeweils anderen gesucht.Abschließend lässt sich sagen, dass eine Einigung dreier Parteien aufgrund der teilweise immensen inhaltlichen Diskrepanzen große Zugeständnisse von allen Seiten brauchen wird. Das wird Zeit brauchen. Die jüngst veröffentlichten Budgetzahlen zeigen ebenso wie die anhaltend schlecht Zahlen aus der Wirtschaft, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Zu hoffen bleibt allerdings, dass eine mögliche Dreierkoalition mehr als nur ein Bündnis auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners ist.