Österreich : Gesundheitstourismus: Woher kommt der Boom?
Massagen aller Art, gesunde Ernährung oder Yoga – sich im Urlaub etwas Gutes zu tun, ist schon seit Jahren ein Thema. Doch nun erlebt der Gesundheitstourismus einen neuen Schub.
„Wir haben gesehen, dass es seit der Pandemie einen enormen Run auf Gesundheits- und Medical-Tourismus gibt“, sagt Thomas Reisenzahn, Geschäftsführer der Prodinger Tourismusberatung. Bei Ersterem stehe Wellness mit einer ärztlichen Betreuung im Vordergrund – somit fallen Kuren, Thermenbesuche oder Wellnessaufenthalte darunter. Bei Zweiterem liegt der Fokus hingegen auf medizinischen Dienstleistungen. Ziel ist in jedem Fall die Erhaltung, Stabilisierung oder die Wiederherstellung der Gesundheit der Urlauber.
Gesundheit als Lebensziel
Das gestiegene Interesse, sich in der schönsten Zeit des Jahres seiner Gesundheit zu widmen, kommt nicht von ungefähr: So hat etwa die Pandemie dazu geführt, dass Gesundheit mehr denn je geschätzt wird. „Gesundheit als Fundamentalwert hat sich in den letzten Jahren tief in unserem Bewusstsein verankert und ist zum Synonym für hohe Lebensqualität geworden. Als zentrales Lebensziel prägt der Megatrend sämtliche Lebensbereiche, Branchen und Unternehmen“, heißt es dazu in der Megatrend-Dokumentation des Zukunftsinstituts.
Gleichzeitig hat sich laut Reisenzahn die Gesellschaft gewandelt. „Wir sind zu einer Sinn-Gesellschaft geworden“, so der Tourismusexperte. Menschen würden wieder nach Selbstfindung, Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung suchen und im Urlaub neue Eindrücke und Erlebnisse sammeln, um diese später im Alltag zu integrieren. „Das kann das Erlernen neuer Mediationstechniken sein oder ein Slow-Food-Kochkurs“, weiß Reisenzahn. Nicht zuletzt werden immer mehr Menschen immer älter. „Die demographische Entwicklung ist ebenfalls ein Trigger“, bestätigt Reisenzahn.
So wird der Anteil der über 67-Jährigen zwischen 2020 und 2030 höher sein als der Anteil der unter 25-Jährigen. Ein wichtiger Wachstumsmarkt ist weiters die Generation 50plus, die so stark wie keine andere Bevölkerungsgruppe zunimmt. Die Menschen würden aber nicht nur älter, sondern blieben auch länger fit. Daher brauche es Hotelkonzepte, die auf die Bedürfnisse der Best Ager eingingen. „Im Grunde sind gänzlich neue Beherbergungsformen gefragt, die den Bedürfnissen der Best Ager gerecht werden und ihnen besondere Erlebnisse bieten“, so Reisenzahn.
Für die Zielgruppe denkbar seien beispielsweise auch Miet- oder Kaufvarianten von Serviced Apartments in entsprechend ausgestatteten Hotels. Die Aufenthaltsdauer gehe zudem vermehrt in Richtung Mid- und Longstay. Darüber hinaus sollten sie auf Aktivitäten unter Gleichgesinnten setzen, wie etwa ein angepasstes Sportangebot. „In Österreich gibt es noch wenige Projekte dieser Art, in der Schweiz, Frankreich und den USA schon mehr“, sagt Reisenzahn.
Hohe Gesundheitskompetenz
Doch auch die GenZ dürfe nicht vergessen werden, werde diese in sechs bis sieben Jahren doch 30 Prozent der Reisenden ausmachen. „Es hat noch nie so viele junge Menschen gegeben, denen das Thema Gesundheit so wichtig und deren Gesundheitskompetenz so hoch ist“, weiß Reisenzahn.
Betrieben, die auf diesen Zug aufspringen wollen, rät er zwei Dinge: „Man muss sich differenzieren und spezialisieren“. Mit der Masse mitzuschwimmen und beispielsweise ein paar Massagen, ein kalorienreduziertes Menü und einen Fitnessraum anzubieten, sei mittlerweile zu wenig. „Man sollte beispielsweise gemeinsam mit einem Arzt oder einem Therapeuten ein unverwechselbares Produkt schaffen“, sagt Reisenzahn, der etwa bei Ayurveda noch Potenzial sieht. Gleiches gilt für eine Schwerpunktsetzung im Bereich der mentalen Gesundheit, die bei den Menschen ebenfalls zunehmend an Bedeutung gewinne.
„Jeder weiß, dass langanhaltender Stress oder das Gefühl der Überforderung die psychische Gesundheit stark beeinträchtigen kann. Orte des Wohlbefindens, wie es Hotels einmal sind, können gezielt Gegenpole sein“, ist er überzeugt. Zahlreiche Hotels haben das bereits erkannt und bieten beispielsweise spezielle Mental Health- und Burnout-Präventionsprogramme an. „Auch Digital Detoxing ist ein Thema genauso wie Reduktion“, weiß Reisenzahn. Eine Spezialisierung sei allerdings nicht nur beim Angebot, sondern auch in Hinblick auf die Zielgruppe sinnvoll.
Der Gesundheitstourismus bietet im Übrigen nicht nur Beherbergungsbetrieben eine Chance für neue Geschäftsmodelle, auch Regionen könnten auf diesen Zug aufspringen. „Natürlich können sie sich ebenfalls entsprechend positionieren, etwa als Orte der Stille“, so Reisenzahn. Anleihen dafür können sie beispielsweise in Salzburg nehmen. Dort setzt die Alpine Gesundheitsregion Salzburger Land auf die Themen Therme, Spitzenmedizin und natürliche Heilmittel, wie beispielsweise den Gasteiner Heilstollen. Aber auch Indien und Sri Lanka haben sich mit Ayurveda bereits erfolgreich im Gesundheitstourismus positioniert. Ungarn oder die Türkei hingegen haben sich als Reiseziele auf der Suche nach günstigeren Behandlungen, etwa bei Schönheitsoperationen, etabliert.
Bereits jetzt reisen rund 14 Millionen Menschen pro Jahr zur medizinischen Versorgung in andere Länder
Grenzüberschreitende Gesundheit
Übrigens: Auch der Medizintourismus, unter den diese fallen und bei dem ärztliche Leistungen im Ausland konsumiert werden, boomt. Nach Angaben der Medical Tourism Association reisen bereits jetzt rund 14 Millionen Menschen pro Jahr zur medizinischen Versorgung in andere Länder.
Den Prognosen zufolge wird der Markt von 24,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 bis 2030 auf rund 93,4 Milliarden US-Dollar wachsen – das ist immerhin ein durchschnittliches Plus von 21,3 Prozent pro Jahr. Allein in Deutschland lassen sich nach Angaben des Netzwerks Primo Medico jedes Jahr etwa 250.000 Medizintouristen aus 177 Ländern behandeln. Davon werden 100.000 stationär in Kliniken aufgenommen.
Allerdings sind darin auch zufällige Krankenhausaufenthalte während einer Reise eingerechnet. Schätzungen zufolge machen gezielt geplante Behandlungen von Auslandspatienten in Krankenhäusern dabei etwa 40 bis 45 Prozent aus, so Primo Medico. „Ich denke, im Bereich Gesundheits- und Medicaltourismus wird sich in den nächsten Jahren noch viel tun“, ist Reisenzahn überzeugt.