Der demographische Wandel : Die Demographie-Bombe tickt
Was macht eigentlich eine florierende Wirtschaft und ein funktionierendes Staatssystem mit all seinen Verwaltungsorganen und Versorgungsleistungen aus? Die Antwort ist: Die Menschen. Genauer gesagt, genügend Menschen im richtigen arbeitsfähigen Alter. Mit anderen Worten, die demographische Pyramide einer Gesellschaft muss ausgeglichen sein. Diese Erkenntnis ist alleine schon für den Erhalt des so genannten Generationenvertrages notwendig, der vor allem für unser Umlagen finanziertes Pensionssystem von großer Bedeutung ist. Idealerweise zahlen immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in das System ein, wie Personen eine Pension aktiv beziehen. Wie wir aus aktuellen politischen Debatten wissen, müssen immer mehr Pensionisten von immer weniger arbeitenden Menschen durch ihre Pensionsumlage finanziert werden.
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Der Pensionstopf reicht dabei nicht mehr aus, sodass die Staatsausgaben von aktuell rund 26 Milliarden auf 37,9 Milliarden im Jahr 2027 ansteigen werden. Die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt steigen dabei in den nächsten fünf Jahren um 25 Prozent auf vermutlich über 20 Milliarden Euro. Dazu kommen noch die Pensionsausgaben für die Beamten, die von 13,3 Milliarden Euro auf 16,7 Milliarden Euro im Jahr 2027 anwachsen. Diese Steuerleistungen berappt aber wiederum die schrumpfende Anzahl der aktiven Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in das System einzahlen. D.h. die Steuerbelastung für jüngere Jahrgänge steigt. Der Politik ist das Problem bekannt. Wesentliche Reformen fehlen bis heute. Doch der demographische Wandel wirkt sich auch in ganz anderen Bereichen aus.
Das letzte Jahrzehnt als führende Industrienation
Der US-amerikanische geopolitische Analyst Peter Zeihan, dessen Thesen durchaus umstritten sind, ließ kürzlich mit einer Vorausschau der demographischen Entwicklung und deren Auswirkung auf westliche Industriestaaten aufhorchen. Für Länder wie Deutschland (und für Österreich ebenso) attestiert er das letzte Jahrzehnt als führende Industrienation. Grund: Deutschland habe eine demographische Entwicklung, bei der in rund zehn Jahren dem Land schlicht und einfach das Humanpotenzial fehlen wird, um seine Stellung als führende Industrienation in der Welt behaupten zu können.
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Das heißt nicht, dass sich Deutschland komplett als Industrienation verabschieden wird, aber es wird weltweit einige Plätze abrutschen und vermutlich aus dem Top-10 rausfallen. Für eine Reihe von mitteleuropäischen Ländern attestiert er ein ähnliches Problem, auch für Österreich.
Letztendlich geht es um Menschen
Für einen industrialisierten Wirtschaftsstandort mit hohem Wohlstandsniveau wie Österreich sind Zeihans Überlegungen sowie die von zahlreichen anderen Experten nicht zu ignorieren. Jedes System hängt von den Menschen ab, die es betreiben. Staaten haben dabei unterschiedliche Geschäftsmodelle und diese werden weitgehend von der Demographie diktiert. Eine Hightech-Nation wie die USA mit einem starken Fokus auf IT braucht z.B. ausreichend Menschen im Alter von 20 bis 35 Jahren, die digitalaffin und ideenreich sind und Energie und Datendrang verspüren. Diese Altersgruppe ist notwendig, um Innovationen voranzutreiben.
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Ein auf Produktion fokussiertes Industrieland wie Österreich, das seine größte Wertschöpfung aus dem Export bezieht, braucht vor allem gut ausgebildete und hochspezialisierte Facharbeiter mit hohem Erfahrungsgrad. Das sind meistens Menschen in der Altersgruppe von Mitte 40 bis Anfang 60. Sprich: Die Baby-Boomer. Sie haben ein so hohes Erfahrungsniveau in ihrem Fachgebiet erreicht, dass sie zur Effizienz und höchster Qualität befähigt sind. Das ermöglicht es unseren heimischen Exportbetrieben, mit hochqualitativen Produkten auf den Weltmärkten reüssieren zu können. Um diesen Pool an Humanpotenzial halten zu können, muss natürlich auch ständig für Nachwuchs gesorgt werden. Unser heimisches Lehrlingssystem ist dafür z.B. federführend.
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Sind nachkommende Alterskohorten aber nicht zahlreich genug, entstehen trotzdem Lücken am Arbeitsmarkt. Technologisch hochentwickelte Länder wie Japan oder Süd-Korea, die ebenfalls eine überalternde Gesellschaft haben, kompensieren seit Jahren diese demographische Lücke mit steigender Automatisierung und Digitalisierung, die hierzulande aber noch im erforderlichen Ausmaß fehlt. Die USA sorgen auf andere Art und Weise für ausreichend Nachschub an IT-Fachkräften, indem sie junge Menschen aus aller Welt mit ihren Forschungsstätten, Universität und Tech-Unternehmen anziehen, vor allem durch hohe Löhne und niedrige Steuern.
Problem für den Wirtschaftsstandort Österreich
In Deutschland und Österreich sowie in weiteren europäischen Ländern findet dieser demographische Ausgleich aber nicht statt. Die Zuwanderung hierzulande reicht nicht aus, um Lücken am Arbeitsmarkt zu füllen. Für internationale Fachkräfte ist Österreich vor allem aus steuerlichen Gründen, aber auch was die Willkommenskultur anbelangt, weitgehend uninteressant. Die Zuwanderung von eher ungelernten Arbeitskräften hingegen ist hoch. Sie müssen mit hohem staatlichem Aufwand erst für die Anforderungen des Arbeitsmarktes ausgebildet werden, was oft Jahre dauert.
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Am Ende ist die Verweildauer im Arbeitsleben vieler Migrantinnen und Migranten zu gering, um demographische Lücken im System signifikant ausgleichen zu können. In Summe kommen zu wenige Facharbeiter für die Industrie sowie für versorgungsrelevante Berufe, etwa im Gesundheitswesen, in der staatlichen Verwaltung und in der Daseinsvorsorge, nach. Dass im System bereits jetzt erhebliche Versorgungslücken aufklaffen, merken wir vor allem Im Pflege- und Gesundheitsbereich. Die Personalsituation in Krankenhäusern ist bereits so dünn, dass die Qualität der Versorgung rapide abnimmt.
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Doch das droht auch in anderen Bereichen: Etwa im Verwaltungsbereich, wenn zu wenige Beamtinnen und Beamten sich um die Erledigung von Verfahren kümmern können. Behördenverfahren dauern deshalb immer länger. Es gehen aber auch zunehmend Fachkräfte für den Erhalt der Infrastruktur aus, etwa im Energiebereich, wo es genügend Elektrotechnikinnen und Elektrotechniker braucht, um Stromnetze zu warten. Ganz zu schweigen von den Installateurinnen und Installateuren, die es für die Umsetzung der Energiewende nötig hätte. Das Betreiben staatlicher Verwaltungs- und Versorgungssysteme hängt von Menschen ab, die das entsprechende Fachwissen besitzen. Fehlen diese Menschen in ausreichender Zahl, dann dauern Reparaturen länger, Versorgung dünnt aus, Infrastruktur wird weniger oft gewartet und die Standortqualität nimmt insgesamt ab. Die Demographie kann eine veritable Abwärtsspirale für einen Wirtschaftsstandort sein. Und das ist in der Geschichte kein neues Phänomen. Aufstrebende Nationen zeichneten sich immer durch ausreichend Menschen aus, die den Fortschritt vorantieben. Überalternde Gesellschaften tendieren zur Stagnation.
Was bedeutet das für Österreich?
Die Politik und die Wirtschaft müssen den demographischen Wandel ins Auge fassen. Er ist jetzt da und die nächsten zehn Jahre sind entscheidend. Es gilt jetzt Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Standort Österreich wettbewerbsfähig zu halten. Dafür braucht es Menschen, die das können und wollen.