Aufrüstung Österreich : Warum Österreichs Verteidigungsstrategie auf Vernetzung mit Kleinstaaten setzen sollte

große weiße Militärdrohne über schneebedeckten hohen Bergen und Wolken

Moderne kriegerische Auseinandersetzungen erfordern Hochtechnologie, wie sie in militärischen Drohnen, Aufklärungssystemen oder für Cyberwarfare benötigt wird.

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Zahlreiche Expertinnen und Experten aus der Verteidigungsindustrie sind sich weitgehend einig, dass die Sicherheit Europas mehr von wirtschaftlicher Stärke und Kosteneffizienz als von technologischer Überlegenheit per se abhängen wird. 

Die Rüstungspläne der EU werden einerseits als notwendig erachtet, um Europa wieder zu einem handlungsfähigen Akteur in Verteidigungsfragen zu machen, andererseits gibt es aber auch Kritik an der Art und Weise, wie diese Pläne umgesetzt werden sollen. 

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Europas 33 größte Rüstungskonzerne und wo sie zu finden sind

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Verteidigungsstrategie Europa: Zwischen Anspruch und Umsetzung

Fakt ist: Am Geld allein liegt es nicht. Die Europäische Union braucht vor allem eine echte Sicherheits- und Verteidigungsstrategie, die auch die wirtschaftlichen Herausforderungen berücksichtigt. Das 800-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket der EU ist hier bestenfalls als Katalysator zu sehen.

Es liegt aber an den EU-Mitgliedsstaaten selbst, ihre derzeit noch stark nationalwirtschaftlich ausgerichteten Rüstungssektoren stärker transnational zu vernetzen. 

Es geht darum, sinnvolle, kosteneffiziente und belastbare Strukturen im Verteidigungssektor zu schaffen, die einer gesamteuropäischen Perspektive dienen. Die Bereitstellung industrieller Kapazitäten, die Organisation von Lieferketten sowie Service- und Wartungsdienstleistungen sind dabei ebenso wichtige Aspekte wie die Sicherung der Rohstoffversorgung, die Ausbildung von Humanressourcen und der Aufbau eigener technologischer Fähigkeiten, um Kompetenzlücken innerhalb der europäischen Verteidigungsindustrie zu schließen. 

Rohstofflieferketten sind für Europas Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft essenziell. Aktuell bestehen immer noch große Abhängigkeiten. 

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Verteidigungssysteme neu denken: autonome Systeme

Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss im 21. Jahrhundert neu gedacht werden. Teure Waffensysteme werden durch kosteneffiziente autonome Systeme ersetzt.  

Zudem braucht auch das Militär eine Antwort auf den demographischen Wandel. In Zukunft werden immer weniger Männer und Frauen für den Wehrdienst zur Verfügung stehen, da die Geburtenraten sinken. 

In den USA boomen deshalb Verteidigungs-Start-ups wie Anduril (benannt nach dem Schwert Aragorns aus „Herr der Ringe“), die sich auf die Entwicklung autonomer und kosteneffizienter Verteidigungssysteme konzentrieren, um wesentliche militärische Lösungen zu finden, ohne dabei das Leben von Soldaten gefährden zu müssen. 

Ob Drohnen, die einen Angreifer aus der Luft abwehren, oder unbemannte AUVs (Autonomous Underwater Vehicles), die kritische Infrastruktur am Meeresgrund sichern: Die Zukunft der Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit hängt verstärkt von smarten, autonomen Systemen ab. 

Auch Europas Aufrüstung sollte sich in diese Richtung bewegen, raten Experten. 

  • portrait Siyamend Al Barazi, Leiter des Arbeitsbereiches Rohstoffwirtschaft in der Deutschen Rohstoffagentur (DERA)
    „Für eine ganze Reihe von Hochtechnologiemetallen, die auch für die Verteidigungsindustrie relevant sind, bestehen hohe Lieferabhängigkeiten“

    Siyamend Al Barazi, Leiter des Arbeitsbereiches Rohstoffwirtschaft in der Deutschen Rohstoffagentur (DERA)

Österreichs Rolle in der europäischen Verteidigungswirtschaft

Die europäische Rüstungswirtschaft wird derzeit im Wesentlichen von wenigen großen Akteuren wie Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien geprägt. Kleinere Länder wie Österreich verfügen kaum über eigene Rüstungsunternehmen, die Endsysteme herstellen, sondern haben sich auf eine Zulieferindustrie für die großen Systemhersteller spezialisiert. Die meisten Unternehmen konzentrieren sich dabei auf Dual-Use-Güter

Österreich ist hier z.B. mit Zulieferbetrieben und Material- und Komponentenherstellern im Fahrzeugbau, in der Luftfahrt und bei Personenausrüstungen stark mit den großen europäischen Systemherstellern verflochten. 

Das ist eine gute industrielle Basis, auf der aufgebaut werden kann. 

Lesen Sie auch hier: Was bedeutet Österreichs Bundesheer-Aufrüstung für die Wirtschaft?

In den USA boomen Verteidigungs-Start-ups wie Anduril, die sich auf die Entwicklung autonomer und kosteneffizienter Verteidigungssysteme konzentrieren.

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Kooperation kleiner Staaten als strategische Chance

Experten aus der Verteidigungswirtschaft plädieren aber auch für eine stärkere Kooperation und wirtschaftliche Vernetzung der kleineren EU-Länder wie Österreich, Schweden, Dänemark, Niederlande, Belgien etc., um wesentliche Lücken in der europäischen Verteidigungswirtschaft zu schließen. 

Dabei geht es nicht nur um Kosteneinsparungen durch gemeinsame Beschaffungsprozesse; sondern auch um die Förderung von Lieferketten, Technologietransfer und die Entwicklung von militärischen Systemen, die auf die Bedürfnisse kleinerer Staaten zugeschnitten sind, um insgesamt den europäischen Verteidigungssektor zu diversifizieren und die wirtschaftliche Last auf mehrere Schultern zu verteilen. 

Schweden als Vorbild für die österreichische Verteidigungsindustrie

Wie möglichst viel Know-how im Verteidigungsbereich im eigenen Land aufgebaut werden kann, zeigt Schweden. Dort ist der Staat über Forschungskooperationen und Beteiligungen deutlich stärker mit den wehrtechnischen Unternehmen verbunden. 

Klare Vorgaben für Kosteneffizienz, belastbare Lieferketten und einfache Wartung führen nicht nur zu einer besonders hohen Wertschöpfungstiefe im eigenen Land, sondern auch zu einem sehr breiten Know-how. 

Das skandinavische Land gilt als Vorbild dafür, wie auch kleinere Staaten mit einer niedrigen Bevölkerungszahl eine tiefe Wirtschaftsstruktur im Verteidigungsbereich und eine starke Vernetzung zwischen Industrie und Politik erreichen können. 

Ausgehend von seiner langen Tradition als neutrales Land hat Schweden sehr früh damit begonnen, militärisch-industrielle Fähigkeiten im eigenen Land aufzubauen. Während des Kalten Krieges, aber auch schon davor, verfolgte man einen Ansatz größtmöglicher Autonomie im Sicherheits- und Verteidigungssektor. 

Saab Gripen: Ein Modell für kosteneffiziente Rüstungsentwicklung

Heute ist das Land in der Lage, mit industriellen Akteuren wie dem Technologie- und Rüstungskonzern Saab wesentliche Kompetenzen für die Land-, See- und Luftstreitkräfte sowie im Cyberbereich bereitzustellen. 

Der Schwerpunkt liegt dabei auf Kosteneffizienz und Pragmatismus. Bei der Entwicklung neuer Kampfflugzeuge liegt der Fokus beispielsweise auf der Weiterentwicklung bestehender Systeme und Fähigkeiten, modularem Design und effizienten Softwareanpassungen anstatt teuren Neuentwicklungen. 

So ist es gelungen, mit dem Saab Gripen JAS 39E ein kostengünstiges, anpassungsfähiges und leistungsfähiges Kampfflugzeug zu entwickeln, das teurere Konkurrenzmodelle in einigen Aspekten übertrifft. Das konnte bei der multinationalen Luftwaffenübung Cruzex 2024 in Brasilien, an der mehr als 15 Nationen teilnahmen, demonstriert werden.  

Die schnelle und einfache Herstellung von Ersatzteilen sowie leicht skalierbare Produktionsmethoden und moderate Produktions-, Wartungs- und Betriebskosten sind wesentliche Anforderungen an Verteidigungssysteme. Das gilt insbesondere für kleinere Länder, die aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen Größe auf Kosteneffizienz setzen müssen.  

Wenige hochentwickelte, aber teure Systeme bieten kaum mehr Schutz als die Fähigkeit, Verteidigungssysteme kostengünstig, skalierbar und in großen Stückzahlen herstellen zu können. 

Lieferketten, Rohstoffe und strategische Abhängigkeiten

Wie schon der EU-Bericht über kritische Rohstoffe vor einigen Jahren deutlich machte, hängt Europas Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft wesentlich von Lieferketten für Rohstoffe und Vorprodukte ab. 

Das beschränkt sich nicht nur auf Materialien, die für die Rüstungsproduktion gebraucht werden, sondern betrifft z.B. auch Medikamente, die für eine medizinische Versorgung im Krisenfall ebenfalls essenziell sind. 

„Für eine ganze Reihe von Hochtechnologiemetallen, die auch für die Verteidigungsindustrie relevant sind, bestehen hohe Lieferabhängigkeiten“, berichtet Siyamend Al Barazi, Leiter des Arbeitsbereiches Rohstoffwirtschaft in der Deutschen Rohstoffagentur (DERA), die Teil der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist. 

Anfang Dezember 2024 verhängte China beispielsweise ein Exportverbot von Gallium, Germanium und Antimon in die USA – drei wichtige Rohstoffe, die u. a. auch in der Verteidigungsindustrie zum Einsatz kommen. Vor allem bei Antimon waren die USA in der Vergangenheit sehr stark auf chinesische Importe angewiesen. 

„Ähnlich hart könnte es Europa bei diversen Rohstoffen treffen, sollten Exportverbote verhängt werden“, so der DERA-Experte.  

In Österreich hat das Austrian Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) erst begonnen, sich damit zu beschäftigen, wie hoch die Abhängigkeiten bei Rohstoffen für die heimische Rüstungswirtschaft ist. 

„Die Rüstungsindustrie ist ein vielseitiges Segment, das eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte umfasst. Sie besteht nicht nur aus einer einfachen Wertschöpfungskette, sondern aus einem Geflecht teilweise überlappender Produktionsnetzwerke. Ebenso vielfältig sind die benötigten Materialien und Fähigkeiten zur Bereitstellung rüstungsrelevanter Güter", berichtet dazu Klaus Friesenbichler, stellvertretender Leiter des ASCII. 

"Dies betrifft einerseits die Herstellung großer Mengen technologisch etablierter Produkte wie Munition oder konventionelle Waffen. Andererseits erfordern moderne kriegerische Auseinandersetzungen Hochtechnologie, wie sie in militärischen Drohnen, Aufklärungssystemen oder für Cyberwarfare benötigt wird. Hierbei müssen Fähigkeiten moderner Produktionsnetzwerke genutzt werden, die nicht immer öffentlich sichtbar sind."

Versorgungssicherheit und Dual-Use-Güter in Österreich

Heimische Unternehmen stellen daher hauptsächlich Dual-Use-Güter bereit, also Produkte, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. 

Der Aufbau einer reinen Rüstungsindustrie für kleineren Länder wie Österreich nimmt mehrere Jahre in Anspruch. 

„Es geht dabei einerseits um die Bereitstellung von Produktionskapazitäten samt Rohstoffen und Vorleistungen, andererseits um die Schaffung von leistungsfähigen Abnehmerstrukturen. Beispielsweise können militärische IT-Leistungen nur dann effektiv eingesetzt werden, wenn die Nachrichtendienste über State-of-the-art-Fähigkeiten zur Nutzung dieser Produkte verfügen“, so der Experte des ASCII.  

Geologisch betrachtet hätte Europa durchaus das Potenzial, seine Versorgung mit Rohstoffen aus heimischen Quellen deutlich zu steigern. Das geht allerdings nicht von heute auf morgen.  

Rohstoffstrategie und Resilienz als Schlüsselfaktoren

Was es dafür braucht, ist Geld, Zeit, Know-how und die Bereitschaft und den Willen, in neue Produktionskapazitäten im Bergbau und der Weiterverarbeitung zu investieren. 

Europa importiert einen Großteil seiner Rohstoffbedarfe aus dem Ausland. Vor diesem Hintergrund spielt die Zusammenarbeit mit rohstoffreichen Ländern eine essenzielle Rolle für eine sichere Rohstoffversorgung. 

„Der Aufbau resilienter Lieferketten wird immer wichtiger, die USA haben das schon viel früher erkannt als Europa. Wir haben Aufholbedarf“, schlussfolgert auch DERA-Experte Al Barazi.  

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