Kommentar der Chefredaktion : Waffen statt Wohlstand

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Trump und Putin schaffen es, Europa aus seiner sicherheits- und außenpolitischen Schlaftrunkenheit aufzuwecken. Vor Empörung erregt und vor Angst gleichzeitig erstarrt, machen sich von ihren Heimatländern outgesourcte EU-Eliten in Brüssel wie Teenager, die erstmals den Ernst des Lebens spüren, aufgeregt und unüberlegt daran, das Friedensprojekt EU (+ Ukraine) in ein „waffenstarrendes Stachelschwein“ zu verwandeln. Allein diese Wortwahl ist an Infantilität nicht zu überbieten. 

Die Rhetorik, ständig von Kriegsbereitschaft, Kriegswirtschaft und Kriegsvorbereitungen zu sprechen, ist das Erste, was europäische Politikerinnen und Politiker ablegen müssen. Stärke projiziert sich durch Gelassenheit, bedachter Tonalität und Handeln mit ruhiger Hand, nicht durch moralische Affektiertheit. „Carry a big stick and speak softly“. Das ist allein schon für die Legitimität nach innen unerlässlich.

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Treppenwitz der Geschichte

Dass man ausgerechnet, um Europa „kriegsbereit“ zu machen, nun das größte Finanzpaket in der Geschichte der EU aufstellen will (Jean Monnet, Konrad Adenauer und Robert Schumann rotieren im Grab) ist schon für sich Ironie genug, dass aber zudem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die noch als glücklose deutsche Verteidigungsministerin mehr Kitas für die Bundeswehr forderte, diese Aufrüstung organisieren soll, kommt einem Treppenwitz der Geschichte gleich. 

Aufrüsten mit "Intelligenz"

Aufrüstung muss mit diplomatischem Geschick, mit sozialer und wirtschaftlicher Resilienz und vor allem mit „Intelligenz“ im Hinblick auf die veränderten Anforderungen moderner Kriegsführung einhergehen. 

Ungezügelte Aufrüstung hat diesen Kontinent immer wieder in die Katastrophe geführt. Und die Geschichte ist voll von militärischen Fehleinschätzungen und sinnlosen Rüstungsprojekten. Im Ersten Weltkrieg blieben teure Schlachtschiffe im Hafen, weil kleine Torpedoboote sie versenken konnten und im Zweiten Weltkrieg siegte wirtschaftliche Massenproduktion über technologisch überlegene Prestigeprojekte und militärische Hybris. 

Auch der Kalte Krieg war von Phasen blindwütigen Wettrüstens geprägt und hätte mehrmals beinahe zu einem Atomkrieg geführt. Zum Glück gab es damals auf beiden Seiten genügend kluge Köpfe, die einfach die Menschlichkeit über blinden Systemgehorsam und Kriegslogik stellten. (Stichwort: Able Archer 83)

Entscheidend ist, was wir dem Gegner zutrauen und was der Gegner uns zutraut, und deshalb sind neben der militärischen Stärke eine gemäßigte Rhetorik und das Offenhalten von Gesprächskanälen so wichtig. Deshalb gab es im Kalten Krieg zwischen Moskau und Washington das „Rote Telefon“. 

Nicht technologische Überlegenheit per se, sondern Kosteneffizienz und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit werden über Europas Sicherheit entscheiden.
Stefan Rothbart, Chefredaktion Wirtschaftsnachrichten

Doch Putin dreht die Dynamik des Kalten Krieges um. Die größte Falle für Europa besteht darin, wie damals die UdSSR, auf Kosten des Wohlstands und sozialer Sicherheit hochzurüsten, was die Zentrifugalkräfte in der EU erhöhen wird. Das Geld, das wir jetzt ungehemmt in Rüstung stecken, wird uns überall sonst fehlen. Russland, China und andere setzen auf dieses Kalkül.  Es ist ihre neue Taktik der Wirtschaftskriegsführung. 

Man zwingt den Gegner sich teuer zu überrüsten. Im Krieg in der Ukraine sehen wir, dass millionenschweres Gerät durch billige Drohnen zerstört wird. Nicht technologische Überlegenheit per se, sondern Kosteneffizienz und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit werden über Europas Sicherheit entscheiden.

Hoffnung statt Angst

Trotz der offensichtlichen Notwendigkeit, Europa sicherheits- und verteidigungspolitisch wieder handlungsfähig zu machen, muss man sich als überzeugter Europäer kritisch fragen, ob die Art und Weise, wie wir das gerade tun, klug ist. Letztlich hat der Westen den Kalten Krieg nicht gewonnen, weil er am Ende mehr Waffen, sondern weil er am Ende das lebenswertere System hatte, das mehr Wohlstand und Perspektiven für seine Bevölkerung schaffen konnte. Deswegen ist die Mauer friedlich gefallen, weil die Projektion dieser Soft-Power mehr Hoffnung statt Angst erzeugte. Europa erzeugt in diesen Tagen mehr Angst als Hoffnung,

 

meint besorgt und nachdenklich

Ihr 

Stefan Rothbart 
Chefredakteur 

stefan.rothbart@wirtschafts-nachrichten.at