Demografische Wandel in Österreich : Wir kommen in die Paradigmenwechseljahre
Nicht nur der Klimawandel, auch die demografischen Entwicklungen werfen deutlich ihre Schatten voraus. Einerseits wurde dieser Wandel durch frühere Generationen längst eingeleitet und ist nicht mehr zu stoppen, andererseits spricht die Statistik eine deutliche Sprache, die klare Prognosen möglich macht. Und diese Erkenntnisse lassen sich bis auf die Ebene der Kommunen herunterbrechen, wo insbesondere durch die Pflege älterer Personen die Ressourcen immer knapper werden und oft auch die über die Jahrzehnte gewachsenen Siedlungs- und Wohnstrukturen zur Vereinzelung und Vereinsamung beitragen.
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Steigendes Durchschnittsalter
Bei genauerer Betrachtung zeigen sich auch durchaus beachtliche Unterschiede in der Altersstruktur, die vom Gemeindebund erhoben wurden. So ziehen manche Gemeinden junge Menschen besonders an, in anderen sind mehr Ältere beheimatet. Derzeit sind rund zwei Drittel der Österreicher zwischen 20 und 64 Jahre alt, jeweils 19 Prozent der Bevölkerung ist entweder unter 20 oder über 65. Durch den demografischen Wandel wird die letzte Gruppe in den nächsten Jahrzehnten stark wachsen. Während im Jahr 1951 der durchschnittliche Bürger nur 35 Jahre alt war, lag der Altersdurchschnitt 1991 Jahren schon bei 38 und ist bis heute auf mehr als 43 Jahre gewachsen. In manchen Gemeinden liegt das Durchschnittsalter bereits darüber.
Regionale Unterschiede
Besonders viele Menschen höheren Alters sind in der oberen Steiermark bzw. im angrenzenden Niederösterreich zu Hause. Dort liegt das Durchschnittsalter in vielen Gemeinden über 48. Eisenerz in der Steiermark gehört zu den Spitzenreitern mit einem Altersdurchschnitt von 55 Jahren. Eine eher ältere Bevölkerung hat auch die Grenzregion im Burgenland und das obere Waldviertel. Viele junge Menschen dieser Regionen wandern in die Ballungsräume ab. Zurück bleiben die „Alteingesessenen“. Sehr viele junge Bürger hingegen haben die Gemeinden Fontanella in Vorarlberg und Gallzein in Tirol. Sie zählen mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren zu den jüngsten Gemeinden Österreichs, was vor allem auf den Tourismus zurückzuführen ist, zumal dort eher junge Menschen tätig sind.
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„Die Demografie ist unerbittlich, aber wir können uns auf die Veränderungen vorbereiten“
Mag. Hannes Heissl
Pflege neu denken
Die zunehmende Alterung erfordert nicht nur mehr Ressourcen seitens der Gemeinden, sie schwächt gleichzeitig auch die regionale Wirtschaft, die auf der Einnahmenseite wichtig für die Kommunen ist. „Denn häufig sind pflegende Angehörige mit ihren Aufgaben überfordert, müssen in Kurzarbeit wechseln oder gar ihre Jobs aufgeben“, so der Soziologe Hannes Heissl vom Institut für gesellschaftlichen Wandel (IGW) in Wien. Er spricht sich angesichts der absehbaren Entwicklungen in den nächsten Jahren für ein Umdenken aus. „Gerade im ländlichen Raum ist es hoch an der Zeit, nicht länger an jenem Paradigma festzuhalten, das vorsieht, ältere und zu pflegende Menschen so lange wie möglich in ihren Einfamilienhäusern zu behalten. Einerseits fehlt dort sehr oft die Infrastruktur und andererseits werden wir sehr bald mit der Situation konfrontiert sein, dass die Pflegekräfte aus Ländern wie der Slowakei oder Ungarn nicht mehr so einfach verfügbar sind. Die werden in ihrer Heimat gebraucht und dort auch attraktive Jobs finden“, ist Heissl überzeugt.
Der Vereinzelung entgegenwirken
Für ihn steht also nicht im Vordergrund, dass ein Mensch um jeden Preis in den „eigenen vier Wänden“ altern soll, zumal dies am Land oft in der Abgeschiedenheit und in einem nicht altersgerechten Zuhause passiert und die Betreuung und Pflege dort sehr schwer zu bewerkstelligen sind. Der künftige Einsatz von Robotik, Smart Home-Anwendungen und Telemedizin kann diese unhaltbare Situation lediglich hinauszögern. Wichtiger erscheint ihm, dass das Altern menschenwürdig und möglichst selbstbestimmt geschieht. Dies kann beispielsweise in neuen Wohnformen bzw. durch den Aufbau sogenannter Caring Communities passieren, wie sie von Heissl auch als Pionierprojekte begleitet werden. Bei diesen Wohnformen gibt es nicht nur Betreuung, sondern auch soziale und kulturelle Teilhabe.
Denn ein Ziel solcher Initiativen sollte es u.a. sein, dass durch neue Lebens- und Wohnformen sowie durch die Entwicklung von Caring Communities der Vereinsamung als Risikofaktor, dass man ein Pflegefall wird, entgegengewirkt wird“, erläutert Heissl den präventiven Ansatz. Um ein solches Umdenken anzuregen und gegebenenfalls weitere Vorzeigeprojekte zu initiieren hat der Soziologe jüngst mit zwei Kollegen im Rahmen der Initiative „Update Social“ des Landes Oberösterreich, der Volkshilfe und der Linzer Johannes Kepler Universität das Projekt „Generationengerechte Gemeinde“ ins Leben gerufen, das später auch von einer Experten-Jury ausgezeichnet wurde.
In die Offensive gehen
Ausgangspunkt für diese Idee war, dass es zwar sehr viele und sehr gute Initiativen und Vereine gibt, die sich sozial engagieren, den Gemeinden und Städten jedoch noch kein wissenschaftlich fundierter Prozess zur Verfügung steht, um von vornherein den demografischen Entwicklungen durch gezielte gesellschaftliche Transformation zu begegnen. Insofern dient diese Idee nicht der Arbeit an den Symptomen, sondern der Prävention, zumal sich z.B. durch die Erhebung demografischer Daten, durch eine Potenzialanalyse etc. ein sehr genaues Szenario für eine Kommune oder einen Bezirk erstellen lässt.
Die generationengerechte Gemeinde
Geschaffen wurde mit der „generationengerechten Gemeinde“ somit ein modularer und standardisierter Prozess, der mit Hilfe einer Sozialraumanalyse zunächst ein Zukunftsbild der Gemeinde erstellt und die künftigen „Baustellen“ offenlegt. Unterstützung erfährt das Expertenteam dabei durch ein neuartiges digitales Tool. In weiterer Folge geht es um einen strategischen Umsetzungsplan sowie um die Einleitung konkreter Maßnahmen. Analog zu den Bestrebungen beim Klimawandel, können also schon jetzt auf lokaler oder regionaler Ebene Strategien zur Anpassung an gewisse demografische Szenarios entwickelt werden. Die Gemeinden könnten sich dabei auch miteinander vernetzen und sich z.B. über Best Practice bei Maßnahmen austauschen und sogar in manchen Bereichen nach Synergien mit Nachbargemeinden suchen.
Instrument zur Entscheidungsfindung
Ähnlich wie bei Employer-Branding-Maßnahmen von Unternehmen richtet auch eine „generationenfreundliche Gemeinde“ deren Potenziale und Aktivitäten so aus, dass sich Menschen gerne dort ansiedeln, sich wohlfühlen und auch bleiben. So können insbesondere ländliche Gemeinden von diesem Tool profitieren, um wieder attraktiv für jüngere Generationen zu werden. Lokale Politiker haben erstmals ein praxistaugliches Tool zur Entscheidungsfindung bzw. zur sozialen Transformation.