Osteuropäischer Einfluss in der EU : Machtfaktor Osteuropa
Knapp 20 Jahre sind seit der Osterweiterung der EU vergangen. Die EU blickt in dieser Zeit auf eine wechselvolle Geschichte zurück, die vor allem durch Erweiterung, aber auch durch die Bewältigung von Krisen gekennzeichnet war. Mit der Osterweiterung 2004 traten mit Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern nicht nur zehn weitere Staaten der Europäischen Union bei, es war auch die bis heute größte Erweiterung der Union. Diese Erweiterung wurde mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien drei Jahre später komplettiert.
Zum Ende des Jahrzehnts wurde mit dem Vertrag von Lissabon nach langwierigen und zähen Verhandlungen das bis heute gültige Vertragswerk der Union geschaffen, während zeitgleich die gesamte Union mit den Auswirkungen der Finanzkrise zu kämpfen hatte. 2013 schließlich wurde mit dem Beitritt Kroatiens der 28. Mitgliedsstaat aufgenommen. Im folgenden Jahrzehnt stand die Krisenbekämpfung im Vordergrund. Beginnend mit der Annexion der Krim über die Migrationskrise hin zum Brexit und der Pandemie markierte der Angriff Russlands auf die Ukraine den traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung.
Neues Selbstbewusstsein
Blickt man auf dieser Zeitachse zurück, standen immer unterschiedliche Mitgliedsstaaten im Fokus, die Machtzentren waren neben Brüssel und Straßburg mit Berlin und Paris aber klar. Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine jedoch war aus den osteuropäischen Staaten eine klare Positionierung kontra Russland zu vernehmen, die mit Nachdruck vertreten wurde. Besonders taten sich hier Estland mit seiner Ministerpräsidentin Kaja Kallas wie auch Polen mit dem Premierminister Mateusz Morawiecki hervor.
Bei der Frage rund um die Lieferung der Leopard Kampfpanzer war Deutschlands Kanzler Scholz beispielsweise zu Beginn eher zurückhaltend und abwartend, um in der Folge doch zuzustimmen. Ganz anders hingegen die Position Estlands, dass sich fortwährend für neue und weitere Sanktionen gegen Russland starkmachte. Selbstbewusst erklärte der polnische Premierminister Morawiecki anlässlich eines Besuchs im Weißen Haus im April: „Das alte Europa glaubte an ein Abkommen mit Russland und das alte Europa scheiterte. Aber es gibt ein neues Europa, ein Europa, das sich daran erinnert, was russischer Kommunismus war. Und Polen ist der Anführer dieses neuen Europas“.
Kommissare als Gradmesser
Auch wenn sich Länder wie Polen oder Estland innerhalb der Europäischen Union Gehör verschafft haben, allen voran im Europäischen Rat, bleibt die Frage, wie dieses Momentum auch in politischen Einfluss umgemünzt werden kann. Die Nagelprobe hierfür wird die kommende Europawahl sein, welche vom 6. bis zum 9. Juni 2024 stattfinden wird. Der genaue Wahltermin wie auch das Wahlprozedere richten sich dabei nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedsstaaten. Für Österreich bedeutet das, dass der Wahltermin von der Bundeswahlbehörde festgelegt werden muss und voraussichtlich am Sonntag, den 9. Juni 2024 sein wird.
Die Wahl zum Europäischen Parlament bringt auch die Neuzusammensetzung der Europäischen Kommission mit sich. Und diesbezüglich ist damit zu rechnen, dass die osteuropäischen Staaten ihren neu gewonnenen Einfluss auch in politisches Kapital ummünzen werden wollen. Ein Blick auf die aktuelle Kommission zeigt jedoch, dass bereits einige gewichtige Posten mit Vertretern aus osteuropäischen Ländern besetzt sind. So kommt beispielsweise der Handelskommissar aus Lettland, das zukunftsträchtige Ressort Energie hat eine estnische Kommissarin, Ungarn hat die Agenden Nachbarschaft und Erweiterung inne oder Polen das Ressort Landwirtschaft. Dieser Trend wird sich unter diesen Vorzeichen wahrscheinlich fortsetzen.
Konzert der Großen
Betrachtet man die Länder nach ihrer Größe, so wird Polen sicher die größten Chancen haben, beim, im wahrsten Sinne des Wortes, Konzert der Großen mitzuspielen. Denn Polen ist nach Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien mit knapp 38 Millionen Einwohnern das Land mit der fünftgrößten Bevölkerung in der Europäischen Union. Das nächste Land im Ranking, Rumänien, hat mit etwas mehr als 19 Millionen Einwohnern knapp die Hälfte der Bevölkerung Polens was Polen zum mit Abstand größten osteuropäischen Land macht. Was den Einfluss Polens jedoch nachhaltig schmälern könnte, ist dessen Politik, die auch im eigenen Land von Protesten und Demonstrationen begleitet wird. Im kommenden Herbst finden Parlamentswahlen statt und es wird befürchtet, dass die seit 2015 regierenden Nationalkonservativen die Weichen so stellen könnten, dass sie nach der Wahl nicht von der Opposition abgelöst werden können.
Diese Angst wurde durch ein eben verabschiedetes Gesetz befeuert, dass die Einsetzung einer Untersuchungskommission vorsieht, um russische Einflussnahme zu untersuchen, der Amtsträger in den vergangenen 15 Jahren möglicherweise ausgesetzt waren und so Entscheidungen zum Nachteil der Sicherheit Polens getroffen haben könnten. Ebenso befindet sich die polnische Regierung durch den von ihr seit einigen Jahren vorangetriebenen Umbau der Justiz im Dauerclinch mit der EU. Einige Entscheidungen des EuGH dazu sind bereits gegen Polen ergangen, andere stehen noch aus. Zudem ist Polen auch nicht Mitglied der Eurozone, was neben den Themen Rechtsstaatlichkeit und Frauenrechte den Einfluss Polens negativ beeinflusst.
Allianzen leben auf
Anderen osteuropäischen Staaten wird es alleine schon aufgrund ihrer Größe nicht möglich sein, dem Beispiel Polens zu folgen. Was jedoch alleine nicht möglich ist, funktioniert möglicherweise im Verbund. Beispiele hierfür sind etwa die „Visegrad Staaten“, ein Bündnis, welches seit 1991 besteht und neben Polen auch Tschechien, die Slowakei und Ungarn als Mitgliedsländer hat. Ein weiteres Beispiel sind die „Bukarest Neun“, die zudem noch Rumänien, Bulgarien und die baltischen Staaten als Mitglieder haben. Dieses Bündnis gründete sich nach der Annexion der Krim durch Russland 2014.
Doch auch hier zeigt sich am Beispiel Ungarns und seiner gegensätzlichen Haltung gegenüber Russland, wie schwierig ein gemeinsamer Konsens zu finden ist.
- Polen ist nach Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien mit knapp 38 Millionen Einwohnern das Land mit der fünftgrößten Bevölkerung in der Europäischen Union.
- Die kommende Europawahl wird vom 6. bis zum 9. Juni 2024 stattfinden.
- Ein Blick auf die aktuelle Kommission zeigt, dass bereits einige gewichtige Posten mit Vertretern aus osteuropäischen Ländern besetzt sind.