Lahme Schnecke : Wie die Rezession in Deutschland die heimische Wirtschaft trifft

Das Alpenpanorama in Innsbruck, Tirol
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Unsicherheit macht sich breit, von Rezession ist die Rede und die Stimmung in der deutschen Wirtschaft nähert sich einem Tief, wie wir es zuletzt im Herbst und Winter 2008/09 hatten, als die Wirtschaftsleistung infolge des Finanzcrashs eingebrochen ist.

Die Wirtschaftsnachrichten haben sich bei den Wirtschaftskammern und den Landesorganisationen der Industriellenvereinigung in den unmittelbar angrenzenden Bundesländern umgehört, ob überhaupt und wie sich der wirtschaftliche Abschwung in unserem großen Nachbarland auf die heimischen Unternehmen auswirkt.

Vorweg: Die Folgen sind spürbar!

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„Der Maschinen- und Anlagenbau meldet jeden Monat ein weiteres Exportminus. Die Stimmung ist ausgesprochen schlecht“
Herbert Motter, WK Vorarlberg

Hängen wir an der Nabelschnur?

„Österreich ist weniger vom deutschen Konjunkturzyklus abhängig, vielmehr hängen wir gemeinsam mit Deutschland am internationalen Konjunkturzyklus, weil beide die gleichen Märkte bedienen oder über dieselben Lieferketten miteinander verflochten sind“, erklärt Dr. Marcus Scheiblecker, Senior Economist und Mitglied der Forschungsgruppe Makroökonomie und öffentliche Finanzen‘ des Wirtschaftsforschungsinstituts.

Dem internationalen Konjunkturzyklus komme also eine wesentlich größere Bedeutung zu als dem nationalen Konjunkturzyklus. Was vor allem der österreichischen metallverarbeitenden Industrie aber auch der Zementindustrie besonders zu schaffen mache, seien die im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohen Energiepreise. Mehr noch als die Bundesländer Salzburg, Tirol und Vorarlberg werden deshalb die industriestarken Bundesländer wie Oberösterreich und die Obersteiermark darunter leiden, ist Scheiblecker überzeugt.

Hinzu komme aufgrund des hohen Zinsniveaus eine Zurückhaltung bei Investitionen, was insbesondere die Maschinenbau-Sparte zu spüren bekomme. Eine starke Auswirkung sieht der Wifo-Ökonom auf die österreichische Autozulieferindustrie zukommen, etwa auch aufgrund der Verunsicherung am Markt, wie sich die E-Mobilität weiter entwickeln werde. Zählte Österreich früher europaweit zu den Top 5 unter den Autozulieferern, so seien wir jetzt durch den Rückgang am Markt auf Platz 6 zurückgefallen.

  • Peter Unterkofler, Präsident der IV Salzburg
    „Die Salzburger Industrie beurteilte die Konjunktur im Herbst 2023 wesentlich pessimistischer als noch im Sommer“

    Peter Unterkofler, Präsident der IV Salzburg

Exporte trübe sich ein

„Der Maschinen- und Anlagenbau meldet jeden Monat ein weiteres Exportminus. Die Stimmung ist ausgesprochen schlecht. Verschärft wird das alles noch von einem immer größeren Mangel an Arbeitskräften. Auch die Gefahr der Deindustrialisierung verschärft sich weiter“, bestätigt Herbert Motter von der Wirtschaftskammer Vorarlberg.

Während im ersten Halbjahr 2023 die Warenexporte oberösterreichischer Produzenten noch florierten, haben sich ab dem Sommer die Exporte insbesondere nach Deutschland deutlich eingetrübt, verlautet die Wirtschaftskammer Oberösterreich. Ein kaum besseres Bild zeigt sich in Salzburg. Laut einer Untersuchung der Salzburger Industriellenvereinigung habe sich im letzten Quartal des Vorjahres die Geschäftslage weiter verschlechtert. Schließlich sei Deutschland Salzburgs wichtigster Außenhandelspartner, sagt Bettina Schmitzberger von der IV Salzburg: Knapp 30 Prozent des gesamten Außenhandelsvolumens gehe auf das Konto Deutschlands, auf Platz zwei folge weit abgeschlagen die USA mit etwas mehr als 10 Prozent.

Das Exportaufkommen Tiroler Unternehmen nach Deutschland ist mit dem der Salzburger vergleichbar. Im Jahr 2022 gingen Waren im Wert von rund 4,9 Milliarden Euro, das sind fast 30 Prozent aller Tiroler Exporte, zum großen Nachbarn. „Bricht in unserem Nachbarland die Nachfrage aufgrund schwächelnder Wirtschaftsleistung ein, spüren Tiroler Unternehmen diesen Nachfragerückgang sofort, und das nicht nur in den klassischen Industriebereichen der Zulieferbetriebe der deutschen Automobilindustrie. Aufgrund der Stellung Deutschlands als wichtigstem Zielmarkt für Tiroler Produkte sind alle Sektoren der Tiroler Wirtschaft von den negativen Effekten der Rezession in Deutschland betroffen“, zeichnet IV-Tirol-Geschäftsführer Michael Mairhofer ein negatives Bild und belegt dies mit einem Vergleich der Konjunkturzahlen des vergangenen Jahres. „Nach aktuellen Berechnungen des Deutschen ifo-Instituts ist die deutsche Wirtschaft im letzten Jahr um 0,3 Prozentpunkte geschrumpft. Österreichs Wirtschaftsleistung nahm laut Wifo-Berechnung im gleichen Zeitraum sogar um 0,8 Prozent ab“, rechnet Mairhofer vor.

Auch die Vorarlberger Industriebetriebe sind in hohem Ausmaß vom Exportaufkommen nach Deutschland abhängig, sagt Christian Zoll, Geschäftsführer Industriellenvereinigung Vorarlberg: "Dank unserer global agierenden Unternehmen und Hidden Champions gelingt es zwar durchaus, das deutsche Schwächeln zu kompensieren, aufgrund der hohen Verkoppelung – 27 Prozent der Exporte gehen nach Deutschland und 38 Prozent der Importe kommen von dort - spüren wir es aber natürlich, wenn Deutschland leidet. Sorgen macht uns hier auch die Automobilbranche, die in Deutschland vor großen Herausforderungen steht und für die es in Vorarlberg viele Zulieferer gibt."

Hütte hoch am Schafberg in den österreichischen Alpen bei Sonnenuntergang
Die Krise in Deutschland ist im Alpenland spürbar - © JFL Photography - stock.adobe.com

Stimmung am Boden

In Salzburg seien konjunkturell die Bau- und Bauzulieferindustrie von Auftragsrückgängen stark betroffen, ebenso die Holzindustrie, heißt es aus der IV Salzburg.

„Die Salzburger Industrie beurteilte die Konjunktur im Herbst wesentlich pessimistischer als noch im Sommer“, erklärt Peter Unterkofler, Präsident der IV Salzburg und ergänzt: „Viele Unternehmen meldeten wie in den Vorquartalen starke Beeinträchtigungen ihrer Geschäftstätigkeit. Der ”Mangel an Nachfrage” war im Oktober erstmals seit April 2021 das am häufigsten genannte Hemmnis“.

Mit dem Wert -13,0 fällt das Barometer des Geschäftsklimas auf ein Negativ-Niveau zurück, das wir zuletzt 2009 gesehen haben. Das belegt auch das Konjunkturbarometer der IV Tirol, das in den letzten beiden Quartalen für das Geschäftsjahr 2023 ein Zehnjahrestief erreichte.

WKT-Präsidentin Barbara Thaler: „Die Schwäche in Deutschlands Wirtschaft, vor allem im Bereich der Investitionen, beeinträchtigt auch die Investitionsgüter-Branchen in unserem Bundesland. Dies spiegelt sich in einem Rückgang des Geschäftsklimawertes in der Tiroler Industrie wider. Er hat zum Jahreswechsel deutlich nachgegeben und liegt derzeit bei -31 Prozent.“

  • Michael Mairhofer, IV Tirol Geschäftsführer
    „Bricht in unserem Nachbarland die Nachfrage aufgrund schwächelnder Wirtschaftsleistung ein, spüren Tiroler Unternehmen diesen Nachfragerückgang sofort“

    Michael Mairhofer, IV Tirol Geschäftsführer

Abgabenquote senken

Wenig optimistisch zeigt sich die Salzburger Industrie. „Es ist wohl zu befürchten, dass es bereits 10 nach 12 ist. Um noch zu retten, was zu retten sei, brauchen wir jetzt eine fokussierte Wirtschaftspolitik mit klarem Bekenntnis zum Industriestandort.“ Dieses Bekenntnis könne „durch eine strategische Reduktion der Steuern- und Abgabenquote, die derzeit mit 43,2 Prozent die vierthöchste in der EU ist, auf 40 Prozent bis 2030 und eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten erreicht werden.“

Für Michael Mairhofer mehren sich die Anzeichen, dass die Talsohle der derzeitigen Rezession in Deutschland und Österreich durchschritten und für das Jahr 2024 zumindest kein weiterer Rückgang der Wirtschaftsleistung zu erwarten sei. Aus Sicht der Tiroler Industrie müssen jetzt vonseiten der Politik positive Impulse gesetzt werden, die das Wirtschaftswachstum wieder ankurbeln und unsere Unternehmen im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähiger machen.

„Nach den Rekordabschlüssen bei den Kollektivvertragsverhandlungen, die es für unsere Betriebe aufgrund der gestiegenen Lohnstückkosten immer schwieriger machen, sich gegen die internationale Konkurrenz zu behaupten, braucht es eine Entlastungsoffensive in Form einer merklichen Senkung der Abgabenlast auf 40 Prozent – vor allem bei den Lohnnebenkosten besteht akuter Handlungsbedarf“, so die Forderungen der IV Tirol.

SAS Automotive Fabrik für Volkswagen: Vor allem die schwächelnde Autoindustrie in Deutschland hat Auswirkungen auf die heimischen Zulieferer.
Vor allem die schwächelnde Autoindustrie in Deutschland hat Auswirkungen auf die heimischen Zulieferer. - © davidjancik - stock.adobe.com

Hohe Strompreise; Weltwirtschaft entscheidend

Energieintensiven Produktionsbetrieben etwa aus der metallverarbeitenden Branche und der Zementindustrie machen die in die Höhe geschnellten Strompreise besonders zu schaffen. Sie sehen dadurch eklatante Wettbewerbsnachteile gegenüber ausländischen Mitbewerbern und eine weitere Verschärfung der konjunkturell bedingten Rückgänge. Aus diesem Grund fordern die Industrievertreter auch ein Nachbessern im Bereich der Energiekosten. Unisono wird eine Ausweitung und Verlängerung des Modells der Strompreiskompensation bis 2030 gefordert, um damit die heimische Industrie „vor den Herausforderungen hoher CO2- und Energiepreise zu schützen“.

Wie Wifo-Ökonom Marcus Scheiblecker darstellt, hänge Österreichs und Deutschlands Wirtschaft gleichermaßen vom internationalen Konjunkturzyklus ab. Herbert Motter von der Vorarlberger Wirtschaftskammer sieht erst Ende 2024 beziehungsweise Anfang 2025 einen Aufschwung. „Viele der Faktoren, von denen das abhängt, liegen in einer weltweit vernetzten Wirtschaft und damit nicht in unserer Hand. Auf ein paar wenige haben wir aber Einfluss.“ Auch die Präsidentschaftswahlen in den USA, der Krieg in der Ukraine, aber auch Chinas Politik gegenüber Taiwan sind für ihn „offene Fragen, die letztlich auch uns tangieren.“

  • Peter Buchmüller, Präsident der WK Salzburg
    Die Gäste sind aufgrund der allgemeinen Teuerung sicherlich etwas preissensibler geworden und kalkulieren genauer, was sie konsumieren

    Peter Buchmüller, Präsident der WK Salzburg

Tourismus läuft

Den Urlaub lassen sich – sehr zur Freude der heimischen Hotellerie und Gastronomie – die Deutschen aber nicht vermiesen. „Die Rezession wird sich weniger auf die Nächtigungszahlen auswirken, sondern vielmehr auf die Ausgaben der Urlaubsgäste in den Urlaubsorten. Da wird weniger Geld ausgegeben und mehr gespart“, so Scheiblecker.

Diesen Trend bestätigt der Präsident der Salzburger Wirtschaftskammer Peter Buchmüller: „Die Zahl der Gäste ist zwar weitgehend gleichgeblieben, aber es wird weniger konsumiert. Die Gäste sind aufgrund der allgemeinen Teuerung sicherlich etwas preissensibler geworden und kalkulieren genauer, was sie konsumieren. Das lässt sich nicht nur in den Lokalen und Restaurants in den Skigebieten und den touristischen Hotspots feststellen, sondern auch abseits davon. Sollte die Rezession in Deutschland länger andauern, sind auch negative Effekte für den Tourismus nicht ganz ausgeschlossen.“

Und ein ähnliches Bild zeigt sich in Tirol. Obwohl der Tiroler Tourismus weniger stark betroffen ist und die Wintersaison 2023/24 gute Nächtigungszahlen aufweist, bestätigt auch WKT-Präsidentin Thaler eine gewisse Zurückhaltung bei den Konsumausgaben der Gäste, was sich auf die Umsätze auswirken wird.

Politik ist gefordert

WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer zeigt sich angesichts der ab Mitte 2024 zu erwartenden rückläufigen Zinsen und steigenden Kredit- und Investitionstätigkeiten allerdings optimistisch, dass die Konjunktur in Oberösterreich, wenngleich nicht sprunghaft, aber dennoch ansteigen wird. Um wieder aus dem „Tal der Tränen“ herauszufinden, nehmen die Wirtschaftsvertreter in den zu Deutschland angrenzenden Bundesländern die Politik in die Pflicht.

„Die von der WKOÖ vorgeschlagene Investitionsprämie Neu kann eine wesentliche Verstärkung auf der Nachfrageseite bewirken“, ist Doris Hummer überzeugt. Es bedürfe aber zusätzlicher Unterstützungsmaßnahmen für die Unternehmen, um auf die europaweiten und globalen Aufgabenstellungen zu reagieren, beginnend mit flächendeckender Erweiterung der Digitalisierungsstrategie sowie Bewusstseinsmachung und Nutzung der Ertragspotenziale im Bereich Nachhaltigkeit und Ökologisierung.

Auch die Vorarlberger Wirtschaftstreibenden sehen Chancen: „Sie reichen von innovativen Lösungen für die Automobilindustrie, über den Transformationsprozess bis hin zu erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Wasserstoff, belastbaren Leitungsnetzen, modernen Baustoffen, digitalen Lösungen für die öffentliche Verwaltung und die Optimierung von industriellen Abläufen, über chemische und pharmazeutische Produkte, biologische Lebensmittel bis hin zur Modernisierung der maroden Eisenbahn- und Autobahninfrastruktur. Es bleiben also noch viele Geschäftschancen, die es umzusetzen gilt.“ Wirtschaftlich frostige Zeiten nutzen unsere Unternehmen, um sich für bessere Zeiten fit zu machen. Es gilt, Strukturen zu hinterfragen, sich neu aufzustellen, an den Innovationen von übermorgen zu arbeiten, ist Motter überzeugt. Er rechnet zwar mit einem Rückgang bei den Beschäftigtenzahlen, etwa indem Nachbesetzungen ausbleiben, nicht jedoch mit einer Kündigungswelle.

Die aktuelle Situation sei zweifellos herausfordernd für die heimischen Betriebe, ist Robert Etter, Pressesprecher der WKS überzeugt. Die hohen Arbeits- und Energiekosten, die Zinslandschaft, die Inflation gepaart mit Nachfragemangel und die geopolitischen Brandherde sorgen für viel Unsicherheit. Die heimischen Unternehmer sind es aber auch gewohnt, mit schwierigen Situationen und mit dem konjunkturellen Auf und Ab umzugehen. Sie müssen ihre Geschäftsmodelle an Marktschwankungen anpassen und sich mit Innovationen wirtschaftlich weiterentwickeln.