Pflege : Wie Demenz den Arbeitsmarkt beeinflusst
Die demografische Entwicklung bzw. der Anstieg der Lebenserwartung haben zu einem verstärkten Bedarf an Pflege für ältere Menschen geführt, insbesondere für diejenigen, die von Demenzerkrankungen betroffen sind.
Dieses Phänomen beeinflusst aber nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen selbst, sondern auch das Leben ihrer pflegenden Angehörigen.
„Die Herausforderungen in der informellen Pflege von Menschen mit Demenz erstrecken sich über verschiedene Phasen der Erkrankung, wobei insbesondere die ersten Phasen durch das mangelnde Bewusstsein der Patienten über ihre eigene Krankheit besondere Schwierigkeiten mit sich bringen“, so der Soziologe Walter Lanz, der gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen eine im deutschsprachigen Raum bislang einzigartige Carer Journey für pflegende Angehörige entwickelt hat.
Denn der Umgang mit dieser für die Angehörigen neuen Situation erfordert nicht nur spezifisches Wissen über die Erkrankung, sondern auch einfühlsame Pflegeansätze und Unterstützungssysteme für die betroffenen Familien.
„Das Besondere an der Demenz im Vergleich zu anderen Krankheitsverläufen ist, dass es hinsichtlich des Aufwands für die Betreuung und Pflege ganz unterschiedliche Voraussetzungen gibt. Man kann hier nicht pauschalisierend sagen, dass der Bedarf an Zuwendung mit der Dauer der Erkrankung automatisch immer höher wird“, so Lanz, der darauf verweist, dass oft gerade der Anfang besonders schwer ist, weil auf der einen Seite die Betroffenen kein Einsehen haben und auf der anderen Seite die Angehörigen noch nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen und sich richtig verhalten sollen.
Nicht vergleichbar mit anderen Krankheitsverläufen
Besondere Brisanz erhält dieser Aspekt dadurch, dass es mit dem Mangel an Arbeitskräften ja eine weitere Herausforderung als Folge der demografischen Entwicklung gibt. Es verabschieden sich also nicht nur mehr ältere Menschen in den Ruhestand und können nur noch schwer durch Jüngere ersetzt werden, es ist auch so, dass viele Leistungsträger im mittleren Alter nun wegbrechen werden, weil sie sich auf die Betreuung und Pflege ihrer Angehörigen konzentrieren müssen.
„Und genau hier besteht auch ein großes Problem gerade zu Beginn einer Demenzerkrankung. Einerseits ist diese Anfangsphase für die Angehörigen extrem fordernd, zumal die Patienten auch noch sehr agil, uneinsichtig und zum Teil sogar aggressiv sind. Andererseits sehen die ersten Pflegestufen kaum einen großen Aufwand vor, was sich auch finanziell auswirkt. Die Betroffenen sind daher rasch überfordert, kommen mit dem Arbeitspensum nicht mehr zurecht und werden auch zunehmend sozial isoliert“, erklärt Lanz und spricht in diesem Zusammenhang von einer komplexen Wechselwirkung zwischen informeller Pflege und Berufstätigkeit.
Problem für den Arbeitsmarkt
Verschiedene Studien haben sich mit diesem Thema bereits befasst, aber die Ergebnisse wurden erst 2019 im Zuge einer Studie am Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung in Hamburg zusammengefasst. Ziel war es, die mit der Pflege verbundenen Faktoren zu ermitteln, welche die Beschäftigung beeinflussen, und ihre Auswirkungen auf die Beschäftigung von Demenzpflegekräften zu beschreiben.
Die Studienautoren zeichnen dabei ein negatives Bild hinsichtlich der Beschäftigung. In den meisten Fällen kommt es bei den pflegenden Angehörigen zu einer Reduzierung der Arbeit oder gar zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses – und so gut wie immer sind Frauen davon betroffen. So bestätigt eine weitere Studie von Margaret Malke Moussa von der Western Sydney University einmal mehr, dass Frauen in der Lebensmitte, die ältere Eltern betreuen, mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Arbeitszeit reduzieren und auch weniger Stunden arbeiten als Frauen, die keine Eltern betreuen.
Trotzdem bieten die Ergebnisse auch ermutigende Einsichten, da eine Berufstätigkeit einen Ausgleich zur Belastung durch die Pflege darstellen und die Bewältigung beider Rollen das Wohlbefinden der Pflegenden verbessern kann. Praktische Bemühungen sollten sich insofern darauf konzentrieren, informelle Pflegepersonen in die Lage zu versetzen, die Balance zwischen Pflege- und Arbeitsaufgaben besser zu bewältigen, wie dies auch die Carer Journey vorsieht, bei der die pflegenden Angehörigen einen längerfristigen Horizont bzw. einen Ausblick auf ihren künftigen Pflegeweg entwickeln können.
„Pflegende Angehörige können von Schulungen und Informationsveranstaltungen durchaus profitieren, um mehr über die Krankheit und ihre verschiedenen Phasen zu erfahren. Dies kann helfen, realistische Erwartungen und angemessene Pflegestrategien zu entwickeln. Ob das bei irgendwelchen Demenzstammtischen wirklich so funktionieren kann, möchte ich nicht beurteilen. Es gibt aber in den Bundesländern schon ein Netz an guten Beratungsangeboten“, so Walter Lanz, der diesbezüglich auch den Gemeinden – etwa der Initiative der „Gesunden Gemeinde“ – ein großes Potenzial attestiert.
Denn hier gibt es noch wenig Angebote für pflegende Angehörige, die von der Nähe profitieren könnten. Außerdem wäre es möglich, auf dieser Ebene die Menschen überhaupt für eine Rolle als pflegende Angehörige zunächst einmal zu sensibilisieren und vorzubereiten, noch bevor es einen Demenzfall in der Familie gibt.
Auch professionelle Pflege betroffen
Die Gemeinden sollten diesbezüglich auch deshalb ein großes Interesse daran haben, weil nicht nur die lokalen Unternehmen Mitarbeiter benötigen und dies also ein Thema der Standortattraktivität ist, sondern die Pflegekräfte in den dortigen Einrichtungen ebenfalls von dieser Problematik in den eigenen Familien betroffen sind.
Die Teilzeitquote bei Frauen ist traditionell hoch und in den letzten Jahren noch gestiegen, diedies gilt auch für den Pflegebereich. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Pflege- und Betreuungspersonen liegt bei etwa 29 Stunden. Das ergab eine Analyse der Pflegedienstleistungsstatistik für 2021.
Die hohe Teilzeitquote bei Frauen lässt sich daraus ableiten, dass sie nach wie vor überwiegend Betreuungsaufgaben in familiären Kontexten wahrnehmen, seien es die Kinder oder auch pflegebedürftige An- und Zugehörige.