Deindustrialisierung Österreich : Wie viele Unternehmen verlassen Österreich – und warum?

Klaus Woltron schreibt über die Industrie Österreichs.

Auch heimische Betriebe zieht es zunehmend in die Ferne: Bereits 41 Prozent der in Österreich ansässigen Unternehmen haben Teile ihrer Produktion in einem moderaten, starken oder sehr starken Ausmaß ins Ausland verlagert.

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Inflation, Fachkräftemangel, hohe Energie- und Lohnkosten, eine überbordende Bürokratie, lange Verfahrensdauern. Diese multiplen Herausforderungen machen heimischen Industriebetrieben schwer zu schaffen.

Nicht zuletzt, da dadurch auch ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Wirtschaftsparkett in Mitleidenschaft gezogen wird. Das gilt aber auch für den Wirtschaftsstandort Österreich, der in internationalen Rankings immer öfter abrutscht.

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In Industrie und industrienahen Dienstleistungsunternehmen sind in Oberösterreich 440.000 Mitarbeiter beschäftigt

Direktinvestitionen in Österreich nehmen ab

Ein deutliches Zeichen für die abnehmende Attraktivität sind weiters die ausländischen Direktinvestitionen, die im Vorjahr gegenüber 2022 um mehr als 20 Prozent zurück gegangen sind, wie der der Anfang Mai präsentierte „EY Attractiveness Survey“ der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY zeigt.

„Eine unmittelbare Folge der strukturellen Probleme des Standortes ist, dass Investitionen in Österreich rückläufig sind und ein Kapitalabfluss im Gange ist, auch Gewinne im Ausland werden nicht nach Österreich geholt“, sagt dazu Michaela Roither, Geschäftsführerin der IV Niederösterreich.

Auch heimische Betriebe zieht es zunehmend in die Ferne: Bereits 41 Prozent der in Österreich ansässigen Unternehmen haben Teile ihrer Produktion in einem moderaten, starken oder sehr starken Ausmaß ins Ausland verlagert, geht aus einer Untersuchung des Beratungsunternehmens Deloitte im Auftrag der Wirtschaftskammer hervor.

Die Situation könnte sich noch verschärfen: Mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Befragten sieht die Attraktivität Österreichs als Industriestandort deutlich schwinden. Viele Industriebetriebe planen angesichts dessen, in den nächsten zwei bis drei Jahren stärker als bisher Teile der Wertschöpfungskette ins Ausland zu verschieben. Noch heuer will beispielsweise der Motorrad- und E-Bike-Hersteller KTM an den Standorten Mattighofen und Munderfing 300 Stellen in der Produktion und 120 im Bereich Forschung und Entwicklung streichen.

Die Produktion für Mittelklasse-Modelle wird nach Indien verlagert, Teile der konzerninternen Forschung und Entwicklung wandern nach China ab. Begründet wird diese Entscheidung mit den Rahmenbedingungen in Europa und den Kostenvorteilen in Fernost. „Die Deindustrialisierung ist in Österreich Realität“, so Roither.

Michaela Roither, Geschäftsführerin der IV Niederösterreich
Michaela Roither, Geschäftsführerin der IV Niederösterreich: "Die Deindustrialisierung ist in Österreich Realität“ - © Marius Hoefinger Fotografie
Auch die nächste Bundesregierung muss umfassende standortpolitische Entlastungsmaßnahmen setzen

Wachstum und Wohlstand in Österreich: in Gefahr?

Setzt sie sich weiter fort, hätte das weitreichende Folgen auf Wachstum und Arbeitsmarkt und damit verbunden den Wohlstand. Wenn die Deindustrialisierung, abgezogen werden vor allem kostenintensive Bereiche, in großem Maße um sich greift, hat das allerdings negative Auswirkungen auf das gesamte Wachstum, den Wohlstand und die Jobs im Land.

Zahlen des Industriewissenschaftlichen Instituts zufolge, beschäftigen beispielsweise in Oberösterreich die Industrie und industrienahe Dienstleistungsunternehmen doch 440.000 Mitarbeiter, österreichweit sichern sie direkt, indirekt und induziert eine Million Arbeitsplätze.

Darüber hinaus gehen mehr als 60 Prozent der in Oberösterreich ausbezahlten Arbeitnehmerentgelte sowie der Investitionen auf sie zurück. Und noch eine Zahl: Immerhin 27 Prozent der Bruttowertschöpfung und der Beschäftigten in der Sachgüterindustrie Österreichs stammen aus Oberösterreich. Übrigens: Anders als der Standort Österreich konnte sich der Industriestandort Oberösterreich im Ranking des Regional Competitiveness Index 2023 durchaus behaupten.

„Oberösterreich lag erstmals unter den zwanzig besten Industrieregionen der EU und war einer der Spitzenaufsteiger“, sagt Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der IV OÖ.

2022 erwirtschaftete die Industrie in Österreich einen Umsatz von rund 255 Milliarden Euro

Zahlreiche Forderungspakete

Um den Industriestandort auch künftig abzusichern, hat die oberösterreichische Standortagentur Business Upper Austria auf Initiative von Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner den Masterplan „Fit for Future“ erstellt, der Ende Mai gemeinsam mit der IV OÖ präsentiert wurde. Eckpunkte darin sind neben Anreizen für mehr Leistung, mehr Eigenverantwortung, weniger Regulierungen und ein deutlicher Fokus auf Forschung und Entwicklung sowie Bildung. So sollen unter anderem zusätzliche Maßnahmen zur Nachwuchsförderung im MINT-Bereich gesetzt werden.

Auch die IV NÖ hat ein Zehn-Punkte-Programm veröffentlicht, das Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts fordert. Diese beinhalten wettbewerbsfähige Energiepreise durch Strompreiskompensation, den Ausbau der Energieinfrastruktur, die Senkung der Steuer- und Abgabenquote sowie der Lohnnebenkosten. An diesen Schrauben sollte so rasch als möglich gedreht werden, sind sie doch die Triebfeder dafür, dass Unternehmen Österreich den Rücken zu kehren: So sehen rund 78 Prozent der von Deloitte befragten Unternehmen in den hohen Arbeitskosten einen Beweggrund zur Abwanderung. Am zweithäufigsten werden mit 66 Prozent Bürokratie und Regulierung genannt, gefolgt von der Verfügbarkeit und Qualifizierung von Arbeitskräften (64 Prozent). Die hohen Steuern und Abgaben werden von 63 Prozent genannt, die hohen Energiepreise sowie die Energiesicherheit sind für 61 Prozent ein Grund, zumindest Teile der Produktion zu verlagern.

„Wir müssen auch den bereits begonnen gesellschaftlicher Diskurs über Leistung und Anreize für Arbeit weiterführen“, verlangt Roither. Es brauche außerdem eine gezielte Migration von Fachkräften. „Die Forderungen schließen auch eine Reduzierung der Bürokratie, Investitionsanreize für grüne Technologien und den Abschluss internationaler Handelsabkommen ein“, so die Geschäftsführerin der IV NÖ.

Es gäbe einen engen Austausch mit der Landespolitik, allem voran mit Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die die Anliegen der Industrie unterstütze. So sei zwischen IV NÖ und dem Land zum Beispiel ein Kooperationsabkommen unterzeichnet worden, um gemeinsam durch gezielte Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie langfristig zu stärken und zu sichern.

Übrigens: Auch die Wirtschaftsreferenten aller Bundesländer sind mittlerweile für das Thema sensibilisiert. In einer Standortdeklaration haben sie sich kürzlich gemeinsam mit IV und WKO zu einer standortfreundlichen Ausrichtung der Politik bekannt: Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu stärken und Wohlstand sowie Arbeitsplätze zu sichern, wurde dazu ein umfassendes 17-Punkte-Paket für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit beschlossen.

„Zusätzlich muss auch die nächste Bundesregierung umfassende standortpolitische Entlastungsmaßnahmen setzen, damit Österreich wieder wettbewerbsfähig wird“, erklärt Roither.